Dienstag, 4. November 2014

"Wir sind noch einmal davongekommen"

... lautet der Titel der aktuellen Inszenierung der Gruppe Vorspiel.
Am Freitag, den 31.11. feierten sie Premiere, am 01.11. war die zweite Aufführung.
Und das Stück wird kontrovers diskutiert. Die einen sind aus dem Häuschen vor Begeisterung, andere gehen in der Pause.
Was ist das los?
Vielleicht liegt an den verschiedenen Ebenen im Stück, denn es gibt eine Bühnenhandlung und dazwischen Unterbrechungen, in denen die Schauspieler aus den Rollen fallen und mit einer Regisseurin diskutieren. In diesen Momenten ist der Fluss der Geschichte unterbrochen, eine zweite, persönlichere Ebene kommt hinzu. Und diese ist keine Erfindung von uns, sondern im Text von Thornton Wilder genau so angelegt.
Vielleicht liegt es aber auch an der der absurden Handlung? Der erste Akt spielt in der Steinzeit, der zweite kurz vor der Sintflunt, der dritte nach dem Krieg. Aber es immer die gleiche Familie, die dort auf der Bühne agiert. Eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter, Tochter, Sohn und Hausmädchen.
Aber gleichzeitig geht es nicht um diese Familie. Die Familie ist ein Sinnbild, ein Platzhalter, eine Metapher - für die gesamte Menschheit. In diesen drei Akten erleben wir die Geschichte der Menschheit, mit all ihren Ängsten, Sorgen, Sehnsüchten, Gelüsten und Grausamkeiten. Wie Menschen nunmal sind. Wir sehen konservative und liberale Figuren, boshafte und eifersüchtige, verführerische und naive.
Vielleicht liegt es an einem Gemisch aus allem. Es ist keine klassiche Komödie, es ist sogar ein Drama, aber dennoch lustig. Es ist absurd und gleichzeitig real. Es ist von allem etwas.

Am 14. und 15.11. sind die letzten beiden Vorstellungen. Es gibt noch Restkarten an der Abendkasse.

Wir freuen uns auf euch! :)







Donnerstag, 16. Oktober 2014

"Der Sturm" - Seebühne Hiddensee

Schon immer wollte ich die Seebühne besuchen. Immer wenn ich die letzten Jahre Urlaub auf der traumhaften Ostseeinsel Hiddensee machte, kam ich an diesem kleinen Häuschen vorbei, das so liebevoll gestaltet war.
Dieses Mal war es soweit: es lief Shakespeares "Der Sturm", eine Co-Prokduktion mit dem Volkstheater Rostock. Es ist ein Ein-Mann-Stück, gespielt von Karl Huck unter der Regie von Holger Teschke. Die Flyer sind hübsch gestaltet, noch schöner die Eintrittskarten. Ich war gespannt.
Als ich ins Theater komme, merke ich: es ist kalt. Ziemlich kalt. Die Sitze sind aus Holz, ich erwische den einzigen in einer der vorderen Reihen mit einem Polster. Hurra! Es ist ein kleiner Steinbau, die Wände bemalt, mit Platz für etwa 50 Zuschauer. Klein, aber fein. Und kalt. Leider.
Als der rote Samtvorhang sich öffnet, zeigt sich ein tolles Bühnenbild. Maritime Elemente, ein Holzboot, an die Wand gelehnt, ein weiteres Boot auf einem großen Bord an der Wand, darunter hängen liebevoll gestaltete Marionetten. Ein Schreibpult mit Shakespeare-Büste vorn rechts und viel maritime Deko.
Schnell merken wir: wir befinden uns in Shakespeares Schreibstube. Die Rahmenhandlung der Inszenierung ist einfach: Will Kempe, ein von Shakespeare gefeuerter Schauspieler (er war der Falstaff, hat aber auf der Bühne zuviel improvisiert) will sich rächen und sieht sich in der Schreibstube um. Er entdeckt Shakespeares neuestes Manuskript zu "Der Sturm" und wird - zumindest laut Flyertext - von der Geschichte in den Bann gezogen.
Aber wird er das wirklich? Ich sehe diesen Bann nicht. Und leider werde auch ich nicht in den Bann gezogen. Shakespeares Sturm ist ein wunderbar poetisches Stück mit tollen Figuren. Auf der Bühne ist ein wunderbar poetisches Bühnenbild mit tollen Figuren. Leider wird beides nicht genutzt. Die Geschichte wird wirr erzählt, bestimmte Teile bekommen zuviel Aufmerksamkeit, einige Szenen ziehen sich unnötig in die Länge, ohne dass die Geschichte verständlich wird. Dem Text fehlt größtenteils Spritzigkeit und Witz, einziges Highlight ist der Schlagabtausch zwischen Caliban und Trinculo, bei dem das Timing stimmt und die Figuren in ihren Eigenheiten zur Geltung kommen.
Doch die wunderschönen Marionetten haben kaum Raum. Ihre Auftritte sind kurz und die Mechanismen, die diese Figuren besitzen, die Magie, die einen mit der richtigen Spieltechnik gefangen nehmen kann, kommt nicht zum Vorschein. Sie bleiben stumme Puppen und erwachen nicht zum Leben.  Sie fungieren als Deko.
Der Schauspieler Will Kempe, gespielt von Karl Huck, bekommt keine Tiefe, die Rachsucht wird nur durch lautes Altherrenlachen geäußert, aber reicht das? Mir nicht. Bewegungen werden nur angedeutet, Tänze nur an- und nie ausgespielt, so dass Will Kempe genauso unbeweglich wie die Marionetten bleibt.
So ist die Inszenierung trotz einer kurzen Dauer von 60 Minuten zäh, langweilig und einschläfernd. Und ärgerlich, wenn man das Stück kennt und den Aufwand, der in die liebevolle Gestaltung von Kostümen, Bühnenbild und Puppen geflossen ist, bedenkt. In diesem Fall leider eine Materialverschwendung.

Infos zum Stück hier.

"Der talentierte Mr Ripley" - Deutsches Theater Berlin

Wenn ein Stück mit einer Sängerin in einem glänzenden Abendkleid mit langen roten, welligen Haaren beginnt, allein an einem Mikrofonständer, im Spot, ganz vorn am Bühnenrand - dann kann es ja eigentlich nur gut werden.
Und die Inszenierung von "Der talentierte Mr Ripley" im Deutschen Theater in Berlin ist gut. Sehr gut. Sehr, sehr gut. Fein, leise, entspannt ... und trotzdem spannend. Das Bühnenbild ist reduziert: ein großer rechteckiger Rahmen, an den Innenseiten beleuchtet. Die Schauspieler balancieren in diesem Rahmen, er bildet gleichzeitig den Rand des Filmbilds und den schmalen Grat, auf dem Tom Ripley wandert. Wirkt das Schauspiel am Anfang noch etwas unsicher, so spielen sich die Schauspieler warm und wachsen in die Rollen hinein. Ein Highlight: die wunderbaren Kostüme!
Auf den deutschen Bühnen finden sich selten so ruhige Stücke - ruhige Stimmung, ruhiger Erzählstil, keine Schreikrämpfe, keine wilden Bewegungen. Das Stück nimmt sich Zeit für die leisen, die unterschwelligen Emotionen der Figuren, lässt sie wachsen, steigert dadurch die Spannung.
Eine Inszenierung wie ein Film. Anschauen!

Infos zum Stück hier.
Foto: Arno Declair
Bildquelle:  http://www.deutschestheater.de

Montag, 25. August 2014

Spielzeitmagazin 2014

Mit der neuen Spielzeit kommt auch immer das neue Spielzeitmagazin. Diesmal erwarten euch Rückblicke auf die Inszenierungen "Top Dogs" (Theatergruppe Vorspiel) und "Weiße Katze" (Duo-Stück v. Torsten Nassall und Sarah Bansemer), Vorschauen auf die neue Vorspiel-Inszenierung und das Solo-Programm "The Lost Companion", eine Fotostrecke im Stummfilm-Stil und neue Kurse und Workshops. Hier könnt ihr es ansehen oder downloaden:

PDF Spielzeitmagazin 2014

Monday is trailer day - The Lost Companion 1

In drei Wochen ist es soweit: "The Lost Companion" feiert Premiere.
Für einen ersten Eindruck gibt es heute Trailer Nummer 1 ... weitere werden folgen.:)

Samstag, 16. August 2014

The Lost Companion

Ein Solostück. Ernsthaft jetzt. Was hab ich mir dabei gedacht? Vermutlich nicht viel. Aber jetzt ist es da, dieses Stück, nach langer Arbeit. Und jetzt geht´s richtig los ...
Ganz allein auf der Bühne zu stehen, ist eine Herausforderung, die ich lange nicht gewagt habe. Aber zu Beginn des Jahres kam die Idee, es doch mal mit einem Soloprogramm zu probieren. Die Idee war schnell da: es sollte mit Science Fiction zu tun haben. Eine britische Science-Fiction-Serie war eine große Inspiration und so entwickelte ich die Idee zu "The Lost Companion".
Die Ausgangssituation ist alltäglich: eine junge Frau wartet. Allerdings nicht auf der Erde, sondern irgendwo anders im Universum:

"Eine junge Berlinerin reist mit einem Außerirdischen durch Raum und Zeit. Meistens zumindest. Im Moment sitzt sie auf ihrem Koffer und wartet auf ihn. „Ich bin gleich wieder hier, dauert nur fünf Minuten.“, hat er gesagt ..."

Premiere ist am 13. September 2014 im Theater Verlängertes Wohnzimmer, Frankfurter Allee 91, Berlin-Friedrichshain. 
Beginn: 20 Uhr
Eintritt: 10 €/ 8 € (ermäßigt)
Kartenreservierung unter: kontakt (at) sarah-bansemer.de

"The Lost Companion" ist selbstverständlich auch auf Facebook vertreten: klick

Sonntag, 25. Mai 2014

"Moritz Grove präsentiert Casablanca - Ein Liederabend" - Deutsches Theater Berlin

"Moritz Grove präsentiert Casablanca - Ein Liederabend" ... der Titel klingt zunächst nicht so spannend - macht aber wahnsinnig Spaß, als Moritz Grove die Zuschauer mit den Worten "Ich bin der Regisseur von 'Moritz Grove präsentiert Casablanca' von Moritz Grove, Moritz Grove" begrüßt. Und der Abend wird genauso spaßig wie die Einleitung vermuten lässt. Moritz Grove ist gleichzeitig (aktiver) Regisseur und Schauspieler dieser ganz besonderen Casablanca-Bühnenversion. Er hat eine Vision und will hoch hinaus! Und - zumindest bei mir - schafft er es auch.
Die Bar des Deutschen Theaters bietet das perfekte Ambiente für die energiegeladene Performance, denn die Zuschauer sind ganz nah dran, werden teilweise involviert und fühlen sich manchmal wie Gäste bei einer Probe. Und immer taucht im Kopf die Frage auf: War das jetzt geplant oder improvisiert? Und genau diese Momente zeigen wieder, wie wunderbar Theater sein kann - im Kontakt mit dem Publikum, am Nerv der Zeit, berührend und witzig.

Infos zum Stück hier.
Foto: Arno Declair
Bildquelle:  http://www.deutschestheater.de

Mittwoch, 12. März 2014

Die nervigsten Zuschauertypen



Als begeisterte Theatergängerin bin ich oft im Theater, sowohl im Laientheater als auch in der Off-Szene oder bei den großen Bühnen. Und ich bin es gern. Manche Stücke hauen mich um, andere nicht so. Was mich aber zusehends immer mehr nervt, sind die Zuschauer. Und deshalb wird es Zeit für einen Überblick über die unangenehmsten Zuschauertypen.


Der Abonnent
Er ist in der Regel im fortgeschrittenen Alter und ständig im Theater. Immerhin hat er ein Premierenabo, das muss man nutzen. Somit sieht man ihn auch so gut wie nur im "richtigen Theater". Im Off- oder Laientheater wird man ihn nur antreffen, wenn das eigene Enkelkind auftritt. Generell besucht er eine Vorstellung auch immer nur mit dem Lebenspartner, nie allein. Was aber mittlerweile auf den Bühnen gezeigt wird, grenzt ja quasi an eine Frechheit. Früher hat es sowas nicht gegeben! Da gab es wenigstens noch anständige Kostüme und es wurde auch nicht ständig über Sex gesprochen. Und diese ganzen englischen Wörter! Das muss doch nicht sein, das versteht doch keiner. Aber nun gut, jetzt hat er ja das Abo, da muss er da durch. Die Arme verschränkt, der Blick weit entfernt vom Hauch eines Lächelns steht er todesmutig die Inszenierung durch. Vielleicht lässt er sich ab und an zu einem ungläubigen Kopfschütteln hinreißen. Wenn es zu schrecklich wird, geht er in der Pause - immerhin dezent. Und alle anderen atmen erleichtert auf - denn mit ihm verschwindet auch der Duft nach Mottenkugeln, Rheumasalbe und Rasierwasser.

Der Kritische
Er hat ja schon vorher gelesen, dass es nicht so gut sein soll - das will er mal genau überprüfen. Oder er hat gelesen, dass es fantastisch ist, das wäre ja kaum zu glauben - ist also auch überprüfenswert. Sein Blick ist leidend bis aggressiv und es erfüllt ihn mit einem wohligen Schauer, in sich eine tiefe Abneigung gegenüber dem Geschehen auf der Bühne aufzubauen. Er bemüht sich, seinen Unmut deutlich zu zeigen - durch Körperhaltung, ein selbstauferlegtes Lachverbot und leises Murren, Grummeln oder aufmerksamkeitsheischendes ergebenes Seufzen. Wurde er von einem der Akteure eingeladen, wird er diesem auf keinen Fall einen wohlwollenden Respekt für die Leistung entgegenbringen. Nur weil man befreundet ist, heißt das noch lange nicht, dass man sich wertschätzt!
Die goldene Regel "Wenn du etwas positives zu sagen hast, sag es - wenn nicht, dann schweige höflich." ignoriert er gern. Hat er die Möglichkeit - z.B. durch Freundschaft - nach der Vorstellung mit den Akteuren in Kontakt zu treten, betont er gern schnellstmöglich, was ihn an der Inszenierung/dem Theater/den Schauspielern gestört hat. Natürlich ungefragt - er weiß doch, dass seine Meinung wichtig ist und er will doch nur konstruktive Kritik beitragen. Manchmal wundert er sich, warum er seltener eingeladen wird. Aber er hat auch schon mal über ein Abo nachgedacht ...

Der Laute
Man braucht ihn gar nicht mit den Blicken suchen, man hört ihn ja schon. Wie der Kritische liebt er lautes Seufzen, auch Räuspern gehört zu den Markenzeichen. Husten ist nicht schlecht, aber anstrengender für die Stimme, immerhin ist er ja nicht krank. Aber die Stühle knarren meist sehr schön im Theater, damit kann man gut spielen. Das geht total leicht, indem man alle 30 Sekunden die Körperhaltung wechselt. Dass sein Glas, das er eigentlich nicht mit in den Saal nehmen soll, während der Inszenierung zweimal umkippt, kann passieren, er ist auch nur ein Mensch. Die Jacke rutscht auch immer vom Schoß, das Leder ist so glatt - aber deshalb 1 € für die Garderobe ausgeben? Auf keinen Fall! Da er immer mit Freunden unterwegs ist, teilt er gern auch mal ne Tüte Chips oder eine Tafel Schokolade, er ist eben sozial. Und manchmal muss er beim Gegenüber kurz nachfragen, was grad auf der Bühne gesagt wurde - er hat es akustisch nicht verstanden.

Der Kommunikative
Er würde niemals allein ins Theater gehen. Das ist doch total langweilig! Aber zum Glück hat er Freunde, die ihn regelmäßig begleiten. Er liebt es, das Bühnengeschehen zu kommentieren. Immerhin kennt er das so eben gesprochene Zitat aus einem Film ... Ach, wie hieß der doch gleich ... warte mal ... na der mit Robert DeNiro ... ach nee, doch nicht ...
Und er hat im Programmheft gelesen, dass die Kostüme in den Farben des Adels gefertigt sind, dass das Bühnenbild an eine römische Mauer erinnert, dass es nach der Aufführung noch ein Podiumsgespräch mit dem Regisseur gibt (zu dem er natürlich hingeht!) und ... achja, die Parkplatzsuche hat etwas länger gedauert draußen, es war die Hölle! Wird er ignoriert, zögert er kurz ... bis ihm einfällt, dass die Schauspielerin ... die da hinten ... ja, die Blonde ... dass DIE mal in der 5. Klasse im Deutschunterricht neben ihm gesessen hat ... ja, echt!

Der Unsichere
Ein Witz auf der Bühne: Lachen + Blick zum Sitznachbarn. Ein zweiter Gag auf der Bühne: Lachen + Blick zum Sitznachbarn. Ein sexistischer Witz auf der Bühne: hochgezogene Augenbrauen + Blick zum Sitznachbarn. Ein ruhiger Moment auf der Bühne: Müdigkeitsgeste + Blick zum Sitznachbarn. Ein Schuss auf der Bühne: Erschrockener Blick zum Sitznachbarn. Musik auf der Bühne: Blick zum Sitznachbarn. Menschen auf der Bühne: Blick zum Sitznachbarn. Eine Bühne: Blick zum Sitznachbarn.
Der Unsichere kann nicht allein genießen. Er braucht die stetige Vergewisserung, dass seine Begleitung genauso denkt/fühlt/reagiert wie er. Vielleicht will er sich aber auch nur vergewissern, dass der andere seine Reaktionen mitkriegt? Oder er braucht eine Legitimation für eine Reaktion auf das Bühnengeschehen - diese erhält er nur, wenn der andere ebenso reagiert? Man weiß es nicht. Man weiß gar nichts mehr. Man kriegt vom Bühnengeschehen - besonders auf einem Sitzplatz HINTER dem Unsicheren - nichts mehr mit. Zu hypnotisch zieht der sich stetig drehende Kopf vor einem den Blick auf sich. Mordphantasien mischen sich mit spontaner Todessehnsucht. Weiß man vorher, dass der Unsichere vor einem sitzen wird, investiert man das Geld für die Theaterkarte lieber in ein leckeres Essen - weit, weit weg von ihm.

Der Eigenartige
Die Steigerung des Unsicheren. Er dreht seinen Kopf nicht nur um 90 Grad zum Sitznachbarn, sondern direkt um 180. Zu Beginn, wenn es noch hell ist, steht er gern auf und inspiziert den ganzen Zuschauerraum. Vielleicht sucht er Bekannte, die woanders sitzen? Vielleicht Gesichter von Bekannten, die zufällig genau in derselben Vorstellung sitzen könnten? Verständlich.
Doch wenn es dunkel wird im Zuschauerraum, hört er nicht auf. Er MUSS sich umdrehen und in den Raum hinter ihm starren. Auch gern nach oben in die Ränge oder auf die Menschen neben ihm. Warum? Warum?? Warum??? Ist es eine Kontrollsucht? Verunsichert ihn das Bühnengeschehen dermaßen, dass er Ablenkung in seiner Umgebung sucht? Raubt einem als Hinter-ihm-Sitzenden schon der Unsichere die Nerven, so liegen sie beim Eigenartigen komplett blank. Angestarrt durch die hellen Augen des Im-Raum-Suchenden (vermutlich denkt er, im Dunkeln sieht man nicht, was er tut) fühlt man sich wie ein Reh auf der Autobahn oder bei einer Stasibespitzelung. Man will fliehen, doch man kann nicht weg, der Eigenartige hat einen fest im Blick. Ein Albtraum.

Der Abgelenkte
Was sein Lieblingsmoment auf der Bühne war? Ach, war alles irgendwie ganz gut ... aber die WhatsApp-Nachricht von Anja war echt witzig, die war heut Abend mit Ina und Sven feiern. Willst du das Bild mal sehen? Sie hat ein Foto geschickt, echt gut!
Im Gegensatz zum Lauten hört man den Abgelenkten nicht. Er ist leise wie eine Maus ... aber sein Gesicht leuchtet bläulich, so findet man ihn auch im dunklen Zuschauerraum ganz leicht. Eigentlich. Wenn nicht zwanzig weitere Menschen auch so leuchten würden ...

Der Kranke
Immerhin hat die Karte 10 € gekostet. Er hat ja rumgefragt, mit heiserer Stimme, aber niemand hatte Zeit, seinen Platz einzunehmen. Naja, und irgendwie hat er sich ja auch total auf das Stück gefreut *röchel*. Der Kranke fällt nicht allzusehr auf, wenn er neben dem Lauten sitzt, sie sind sich sehr ähnlich. In der kalten Jahreszeit und ganz besonders in den Übergangszeiten taucht er auch gern im Rudel auf ... natürlich dezent verteilt im gesamten Zuschauerraum - nur so ist der Dolby-Surround-Effekt auch wirklich gewährleistet.


Selbstreflektierend gebe ich offen zu, dass ich an bestimmten Tagen Eigenschaften der genannten Typisierungen aufweise. Und ich bemühe mich stets (außer beim Lachen) das Lautsein einzudämmen und unvoreingenommen und offen in eine Inszenierung zu gehen ... meistens klappt es.;)


"Coriolanus" - Donmar Warehouse Theatre auf der Leinwand (Savoy-Filmtheater Hamburg)

Beim letzten Londontrip las ich im Zimmer unseres Bed&Breakfasts einen Artikel über deutsches und britisches Theater. Der Fokus unterscheidet sich sehr - haben wir in Deutschland hauptsächlich Regietheater, so stehen in England die Schauspieler und Autoren im Mittelpunkt.
Und die Schauspieler auf den englischen Bühnen sind dann auch des öfteren die ganz großen, die der Nicht-Theatergänger aus zahlreichen Hollywoodfilmen kennt. Diese Stars live auf der Bühne zu sehen, muss fantastisch sein. Kostet aber auch ordentlich Geld. Denn neben den Karten kommt ja noch der Trip nach London dazu. Umso erfreuter war ich, als ich Digital Theatre entdeckte. Als neuer Dr-Who-Fan war ich sehr wild darauf, David Tennant alias der 10. Doctor und Catherine Tate alias sein Companion Donna Noble zusammen in einem Theaterstück zu sehen - und dann auch noch in Shakespeares "Viel Lärm um nichts". Die Trailer auf Youtube hatten mich neugierig gemacht und ich kaufte die Aufnahme der Inszenierung online und freue mich, sie mir bald anzusehen (denn erst möchte ich noch das Stück zu Ende lesen :) ).

Um nun den Bogen zu Coriolanus zu schlagen: bei den Recherchen zu Online-Theateraufführungen sah ich, dass es auch Live-Übertragungen in verschiedene Kinos weltweit gibt. Ich entdeckte diese Info am 1. Februar. Die letzte Übertragung - "Coriolanus" mit Tom Hiddleston in der Hauptrolle - lief am 30. Januar. Grrrrrrrrrr! In Berlin wurde es nicht ausgestrahlt - wozu auch, so eine unbedeutende Mini-Stadt ... Aber in Hamburg. Und ich entdeckte, dass es in Hamburg eine Wiederholung der Ausstrahlung gibt, am 10. März. Also war spontan die Entscheidung da: Ich fahr nach Hamburg und schaue mir die Inszenierung im Kino an.
Die Vorfreude war groß und ich versuchte mich schon ein bißchen vorzubereiten: ich las mich in die ersten Szenen von Coriolanus ein (ich geb´s zu, ich schaffte nur ein Drittel, die Zeit war knapp), hörte in eine englische Hörbuchfassung rein, las mehrmals die Zusammenfassung. Denn Shakespeare auf Englisch ist nicht ohne - und zu wissen, worum es geht, ist in jeder Inszenierung vorteilhaft.
Das Hamburger Kino Savoy-Fillmtheater ist schön, modern und sehr gut besucht. Fast alle Sitze waren besetzt, die Karten auch entsprechend teuer (17,50 € - ich hatte mein Ticket im Voraus gebucht).
Ich hätte zu gern eine Umfrage gesehen, wie viele Menschen im Publikum dort waren, weil sie Tom Hiddleston so sexy finden .... vermutlich etwa 90%.;)
Mich hatte er als Loki in "Thor" (den ich ansonsten ziemlich blöd fand) und in "The Avengers" begeistert, besonders seine Stimme und das zurückgenommene Spiel. Und klar: auch die Optik, man kann es nicht leugnen. Nicht umsonst wurde er von MTV zum "Sexiest man of the world" gewählt.
Nach vielen Vorschauen, Werbung für andere Theaterübertragungen und neue DVDs sowie einer Einführung zum Stück ging es endlich los. Und es war gut. Nicht herausragend, nicht umwerfend, sondern gut. Und ich denke, hier ist die Grenze der Theater-auf-Film-Möglichkeiten erreicht: es ist kein Film, der würde vermutlich mehr berühren oder begeistern. Es ist die Aufnahme eines Theaterstücks, das mich - wäre ich vor Ort live dabei gewesen - vermutlich sehr geflasht hätte. Die Momente direkt zum Anfassen nah vor Augen zu haben, hat nochmal eine andere Wirkung, die auf der Leinwand nicht erzielt werden kann. Aber: ich bin unendlich dankbar, dass es die Möglichkeit gibt, solch eine Inszenierung sehen zu können, auch wenn ich nicht vor Ort sein kann.
Die Inszenierung startet ruhig, das Bühnenbild eine Steinmauer im Hintergrund, daran einige Leitersprossen, davor eine freistehende Leiter, die zur Decke führt. Der Rest der Bühne eine freie Steinfläche, mit Abflussgittern an den Rändern. Dazu ein paar Stühle. Die Inszenierungsideen sind einfach, aber funktionieren gut. Die Spieler sitzen auf den Stühlen, treten von dort aus ins Bild. Die Schauspieler bemühen sich sehr - haben aber gegen Tom Hiddleston keine Chance. Mit seiner Bühnenpräsenz lässt er seine Mitspieler am langen Arm verhungern. Das passiert unabsichtlich, aber es passiert. Gegen einen ruhigen Tom Hiddleston in Großaufnahme, dem zwei Tränen langsam über die Wange rinnen, kommt niemand an - und schreit er auch noch so sehr.
Zwei Plätze neben mir sitzt ein junger Mann, der von den engen Hosen der Schauspieler sehr angetan ist, besonders bei Herrn Hiddleston. In der Tat, die Hosen sind eng. Sie passen gut zu den Kriegern im Stück. Die Kostüme sind im Gesamten sehr schön, detailliert gearbeitet, aus wunderbaren Materialien in gedeckten Farben (Khaki, dunkle Lilatöne, Grau, Beige, Braun und Schwarz). Sie sind modern und antik zugleich. Sie stehen den Schauspielern gut, unterstreichen deren Charaktere, verbinden sich zu einem großen Ganzen. Und als Coriolanus in einer Szene in einer weißen Toga auftritt, lässt mich die Frage nicht los, ob er darunter wirklich komplett nackt ist.
Coriolanus ist ein langes Stück. Und es wurde leider so lang gelassen. Trotz einiger Kürzungen sitze ich über drei Stunden im Kino. Drei Stunden, die irgendwann ermüdend werden, auch wenn es einige Highlights gibt. Mein Lieblingsaspekt im Stück sind die Verletzungen. Es geht um Krieger, es geht um die Wunden, die ein Krieger davonträgt und die - besonders von seiner Mutter - als Auszeichnungen gesehen werden, als etwas wunderbares, was den Sieg des Sohnes präsentiert. Es wird wunderbar mit diesen Verletzungen gespielt, so wie hier ab Minute 28:00:

)

Nach ein paar kurzen vergleichsweisen Einblicken in die Aufnahme von "Much ado about nothing" ist mein erster Eindruck: Komödien funktionieren als Aufnahme besser als Tragödien.
Ich freue mich sehr auf weitere Inszenierungen online und würde mir wünschen, dass auch deutsche Theater ab und an diese Möglichkeit aufgreifen.
Aber vielleicht ist bei uns nicht genug interessiertes Publikum da? Immerhin können wir keinen Tom Hiddleston oder Ian McKellen oder Patrick Stewart bieten, keine Judy Dench oder Maggie Smith. Die Aufnahmen müssen auch nicht perfekt sein ... aber wenn Deutschland immer jammert, dass nicht genug junge Menschen ins Theater gehen, sollte man sich ein Beispiel am Ausland nehmen, mehr Stars auf die Bühne stellen und eine Fanbase aufbauen ... so wie es Stefan Kaminski mit seiner Live-Hörspielreihe "Kaminski on Air" geschafft hat. Mehr Kult und mehr Popkultur ins Theater! Auf in die Zukunft!

Donnerstag, 6. März 2014

"Dieses Kind" - Deutsches Theater Berlin

Ein Familienfoto steht an, alle bereits aufgestellt, die Männer hinten, davor die Frauen, die Kinder auf dem Boden zu ihren Füßen. Und das Teeniemädchen mit verschmitztem Lächeln am Rand. Genau dieser Witz in ihrem Blick zieht einen sofort in den Bann. Als sich das Bild auflöst, tritt sie nach vorn. Sie ist schwanger und sie ist sich sicher: sie wird eine fantastische Mutter! Und ihr Kind wird glücklich sein! Es muss einfach! Es muss! Es muss!!!
Nach dem Eingangsmonolog begegnen wir vielen Familienmitgliedern: älteren und jüngeren Vätern, kleinen und großen Kindern, besorgten Müttern, pragmatischen Töchtern und kinderlosen Paaren ... Jede Szene nimmt uns mit in einen Mikrokosmos, lässt die Fantasie in die Vergangenheit und Zukunft dieser Familienmitglieder wandern ... und zeigt beißend hart, wie sehr die Beziehung zu den Eltern einen Menschen prägt.

"Dieses Kind" ist eine Inszenierung des Jungen DT, es spielen drei Generationen zusammen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene - und sie tun es grandios! Schon lange hat mich kein Stück so sehr gepackt wie dieses. Es rührt einen an, man entdeckt sich selbst, entdeckt seine Freunde, Partner, vielleicht auch seine Eltern in den Figuren. Die Inszenierung ist einfach gehalten, dennoch verspielt und sehr intim, die Box im DT ist ein kleiner Spielraum, der uns nah an den Figuren sein lässt, uns eintauchen lässt in diese Familienwelten. Das Bühnenbild - ein drehendes Gerüst - lässt sich vielfältig verändern und stellt immer wieder neue Räume dar.

Hingehen, anschauen, berühren lassen!

Alles zum Stück: hier

Foto: Arno Declair
Bildquelle:  http://www.deutschestheater.de

Dienstag, 18. Februar 2014

Gruppendrang - Der Weg zu einer neuen Theatergruppe ...

Ich gehöre zu denen, die etwas suchten, nichts passendes fanden, und es dann letztendlich selbst machten. Eine Vorgehensweise, die sich durch viele Lebensbereiche zieht.
So auch beim Thema Theater:
Ich hatte in der Schule Theater gespielt, erst eine Maus im "Traumzauberbaum" (1.-4. Klasse), dann frisch auf dem Gymnasium Moderation in einem Dankeschön-Stück für gesponstertes Klassenmobiliar (6. Klasse), das Orakel von Delphi in einer lateinisch-deutschen Version von "Theseus und Minotaurus" (7. Klasse), kleinere Einsätze in den Theatergruppen meiner Mutter, eine Halluzinierende in einem Kurzstück zum Thema Absurdes Theater (10. Klasse), einen Richter in Peter Turrinis "Der tollste Tag" (12. Klasse) ... und dann war die Schule vorbei. Und mit der Schule auch das Theaterspielen. Es folgten viele, viele Theaterbesuche, eine kaufmännische Ausbildung, die Begegnung mit dem Lebenspartner ... und immer noch der Wunsch: ich will wieder Theater spielen.
Also suchte ich nach einer Theatergruppe, aber fand keine. Mal waren sie voll, mal waren mir die Mitspieler zu alt, mal hätte ich Vereinsmitglied werden müssen, mal ............
Also musste ich selbst eine gründen. Das tat ich mit einem anderen Suchenden und es klappte. Und ich lernte wahnsinnig viel die nächsten Jahre. Wir gingen durch Krisen und Fluktuationen, wir diskutierten, wir feierten. Und ich gründete beruflich zwei Gruppen ... und es kam neue Erkenntnisse, neue Krisen, neue Herausforderungen.
Heute habe ich nur noch eine Gruppe (Vorspiel), denn es ist zeitaufwändig, wenn auch schön. Aber ich weiß, dass es so viele Suchende in dieser großen Stadt gibt. Und ich möchte sie motivieren, selbst zu gründen. Wie? Mit einem Kurs, in dem Gleichgesinnte zusammenkommen, gemeinsam spielen und improviseren, unterschiedliche theatrale Stilmittel und Möglichkeiten kennenlernen sowie Infos zu Gruppendynamiken in sowie Organisation und Planung von einer Theatergruppe erhalten. Am Schluss sind gerüstet, gemeinsam in das Abenteuer Gruppengründung zu starten.

Los gehts mit einem Schnuppertermin am 7. April 2014, der Kurs startet wenige Wochen später.
Alle Infos findet ihr hier: ---> Klick

Sonntag, 26. Januar 2014

Premiere, Premiere!

Soooo, "Weiße Katze" hatte letztes Wochenende Premiere (Oh mein Gott, das ist erst eine Woche her? Es kommt mir vor, als sei seitdem ewig viel Zeit vergangen ... ;) ).
Und es war super!
Wenn man an etwas arbeitet, ist man ja oft selbstkritisch. Und auch während der Arbeit zu "Weiße Katze" gab es viele, viele, viele lustlose Momente und auch Momente, in denen man sich denkt "Das ist öde, das will doch keiner sehen ...".
Aber: nach den Tiefphasen kommen auch immer wieder euphorische Phasen. Und wir haben gemerkt: wir brauchen Input und Tipps. Die haben wir uns bei vielen lieben Menschen geholt, denen ich an dieser Stelle unbedingt noch einmal danken möchte:

- zuerst meinem Mann: für unglaublich wertvollen Input zu den Figuren und deren Handeln!
- meiner Kollegin Sylvia und ihrer Kollegin Rosi: für geduldiges Gesangstraining :)
- meiner Kollegin Anke für eine großartige Choreographie-Probe
- meiner Mutter und meiner Kollegin Katja (die übrigens beide am Tag unseres nächsten Auftritts Geburtstag haben :) ) für die notwendige und hilfreiche Regiearbeit
- meinem Freund Volker für die Technik ... ohne Technik geht nichts, also geht auch nichts ohne Volker - Chapeau!
- und dem netten Herrn Tschichert für ein wunderschönes, altes Telefon, das in unserem Stück eine zentrale Rolle spielt

Nach diesem ganzen Input von unseren Bekannten und Freunden lief der Freitagabend grandios. Ich war noch nie SO aufgeregt während einer Vorstellung und auch noch nie so lange so aufgeregt.
Normalerweise bin ich total tiefenentspannt bis etwa 10 Sekunden bevor ich auf die Bühne muss. Da steigt dann das Adrenalin, ich geh auf die Bühne und nach den ersten 5 Minuten etwa bin ich wieder entspannt. Nicht so dieses Mal: ich war schon etwa 10 Minuten statt 10 Sekunden vorher aufgeregt und innerlich das komplette Stück über (also etwa eine Stunde) innerlich auf Hochspannung. Erstaunlich, aber auch aufregend und neu und sehr produktiv.
Am Samstag war die Aufregung dann weniger, zum Glück.

Das Feedback der Zuschauer war überwältigend und ich bin sehr glücklich darüber, dass wir den Zuschauern mit unserer Aufführung eine Freude machen konnten.
Es war für mich eine komplett neue Erfahrung, nur zu zweit zu spielen, ohne großes Ensemble. Ebenso neu war es, ein Stück selbst zu schreiben. Ich habe schon ein Stück entwickelt, allerdings ohne Text ... Dramaturgie ist nochmal ein ganz neues (und wahnsinnig schwieriges) Feld. Erstmalig habe ich auf der Bühne einige Parts allein gesungen. Erstmalig habe ich auf der Bühne allein getanzt. Und ich habe Blut geleckt ...