"Coriolanus" - Donmar Warehouse Theatre auf der Leinwand (Savoy-Filmtheater Hamburg)

Beim letzten Londontrip las ich im Zimmer unseres Bed&Breakfasts einen Artikel über deutsches und britisches Theater. Der Fokus unterscheidet sich sehr - haben wir in Deutschland hauptsächlich Regietheater, so stehen in England die Schauspieler und Autoren im Mittelpunkt.
Und die Schauspieler auf den englischen Bühnen sind dann auch des öfteren die ganz großen, die der Nicht-Theatergänger aus zahlreichen Hollywoodfilmen kennt. Diese Stars live auf der Bühne zu sehen, muss fantastisch sein. Kostet aber auch ordentlich Geld. Denn neben den Karten kommt ja noch der Trip nach London dazu. Umso erfreuter war ich, als ich Digital Theatre entdeckte. Als neuer Dr-Who-Fan war ich sehr wild darauf, David Tennant alias der 10. Doctor und Catherine Tate alias sein Companion Donna Noble zusammen in einem Theaterstück zu sehen - und dann auch noch in Shakespeares "Viel Lärm um nichts". Die Trailer auf Youtube hatten mich neugierig gemacht und ich kaufte die Aufnahme der Inszenierung online und freue mich, sie mir bald anzusehen (denn erst möchte ich noch das Stück zu Ende lesen :) ).

Um nun den Bogen zu Coriolanus zu schlagen: bei den Recherchen zu Online-Theateraufführungen sah ich, dass es auch Live-Übertragungen in verschiedene Kinos weltweit gibt. Ich entdeckte diese Info am 1. Februar. Die letzte Übertragung - "Coriolanus" mit Tom Hiddleston in der Hauptrolle - lief am 30. Januar. Grrrrrrrrrr! In Berlin wurde es nicht ausgestrahlt - wozu auch, so eine unbedeutende Mini-Stadt ... Aber in Hamburg. Und ich entdeckte, dass es in Hamburg eine Wiederholung der Ausstrahlung gibt, am 10. März. Also war spontan die Entscheidung da: Ich fahr nach Hamburg und schaue mir die Inszenierung im Kino an.
Die Vorfreude war groß und ich versuchte mich schon ein bißchen vorzubereiten: ich las mich in die ersten Szenen von Coriolanus ein (ich geb´s zu, ich schaffte nur ein Drittel, die Zeit war knapp), hörte in eine englische Hörbuchfassung rein, las mehrmals die Zusammenfassung. Denn Shakespeare auf Englisch ist nicht ohne - und zu wissen, worum es geht, ist in jeder Inszenierung vorteilhaft.
Das Hamburger Kino Savoy-Fillmtheater ist schön, modern und sehr gut besucht. Fast alle Sitze waren besetzt, die Karten auch entsprechend teuer (17,50 € - ich hatte mein Ticket im Voraus gebucht).
Ich hätte zu gern eine Umfrage gesehen, wie viele Menschen im Publikum dort waren, weil sie Tom Hiddleston so sexy finden .... vermutlich etwa 90%.;)
Mich hatte er als Loki in "Thor" (den ich ansonsten ziemlich blöd fand) und in "The Avengers" begeistert, besonders seine Stimme und das zurückgenommene Spiel. Und klar: auch die Optik, man kann es nicht leugnen. Nicht umsonst wurde er von MTV zum "Sexiest man of the world" gewählt.
Nach vielen Vorschauen, Werbung für andere Theaterübertragungen und neue DVDs sowie einer Einführung zum Stück ging es endlich los. Und es war gut. Nicht herausragend, nicht umwerfend, sondern gut. Und ich denke, hier ist die Grenze der Theater-auf-Film-Möglichkeiten erreicht: es ist kein Film, der würde vermutlich mehr berühren oder begeistern. Es ist die Aufnahme eines Theaterstücks, das mich - wäre ich vor Ort live dabei gewesen - vermutlich sehr geflasht hätte. Die Momente direkt zum Anfassen nah vor Augen zu haben, hat nochmal eine andere Wirkung, die auf der Leinwand nicht erzielt werden kann. Aber: ich bin unendlich dankbar, dass es die Möglichkeit gibt, solch eine Inszenierung sehen zu können, auch wenn ich nicht vor Ort sein kann.
Die Inszenierung startet ruhig, das Bühnenbild eine Steinmauer im Hintergrund, daran einige Leitersprossen, davor eine freistehende Leiter, die zur Decke führt. Der Rest der Bühne eine freie Steinfläche, mit Abflussgittern an den Rändern. Dazu ein paar Stühle. Die Inszenierungsideen sind einfach, aber funktionieren gut. Die Spieler sitzen auf den Stühlen, treten von dort aus ins Bild. Die Schauspieler bemühen sich sehr - haben aber gegen Tom Hiddleston keine Chance. Mit seiner Bühnenpräsenz lässt er seine Mitspieler am langen Arm verhungern. Das passiert unabsichtlich, aber es passiert. Gegen einen ruhigen Tom Hiddleston in Großaufnahme, dem zwei Tränen langsam über die Wange rinnen, kommt niemand an - und schreit er auch noch so sehr.
Zwei Plätze neben mir sitzt ein junger Mann, der von den engen Hosen der Schauspieler sehr angetan ist, besonders bei Herrn Hiddleston. In der Tat, die Hosen sind eng. Sie passen gut zu den Kriegern im Stück. Die Kostüme sind im Gesamten sehr schön, detailliert gearbeitet, aus wunderbaren Materialien in gedeckten Farben (Khaki, dunkle Lilatöne, Grau, Beige, Braun und Schwarz). Sie sind modern und antik zugleich. Sie stehen den Schauspielern gut, unterstreichen deren Charaktere, verbinden sich zu einem großen Ganzen. Und als Coriolanus in einer Szene in einer weißen Toga auftritt, lässt mich die Frage nicht los, ob er darunter wirklich komplett nackt ist.
Coriolanus ist ein langes Stück. Und es wurde leider so lang gelassen. Trotz einiger Kürzungen sitze ich über drei Stunden im Kino. Drei Stunden, die irgendwann ermüdend werden, auch wenn es einige Highlights gibt. Mein Lieblingsaspekt im Stück sind die Verletzungen. Es geht um Krieger, es geht um die Wunden, die ein Krieger davonträgt und die - besonders von seiner Mutter - als Auszeichnungen gesehen werden, als etwas wunderbares, was den Sieg des Sohnes präsentiert. Es wird wunderbar mit diesen Verletzungen gespielt, so wie hier ab Minute 28:00:

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Nach ein paar kurzen vergleichsweisen Einblicken in die Aufnahme von "Much ado about nothing" ist mein erster Eindruck: Komödien funktionieren als Aufnahme besser als Tragödien.
Ich freue mich sehr auf weitere Inszenierungen online und würde mir wünschen, dass auch deutsche Theater ab und an diese Möglichkeit aufgreifen.
Aber vielleicht ist bei uns nicht genug interessiertes Publikum da? Immerhin können wir keinen Tom Hiddleston oder Ian McKellen oder Patrick Stewart bieten, keine Judy Dench oder Maggie Smith. Die Aufnahmen müssen auch nicht perfekt sein ... aber wenn Deutschland immer jammert, dass nicht genug junge Menschen ins Theater gehen, sollte man sich ein Beispiel am Ausland nehmen, mehr Stars auf die Bühne stellen und eine Fanbase aufbauen ... so wie es Stefan Kaminski mit seiner Live-Hörspielreihe "Kaminski on Air" geschafft hat. Mehr Kult und mehr Popkultur ins Theater! Auf in die Zukunft!

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