Corona-Theatertagebuch – Woche 57




Montag:


Am Wochenende war wieder ein bißchen Lockdown-Koller angesagt. Das eigentlich Absurde ist ja: mein Leben vor Corona bestand NICHT aus ständigen Reisen, Partys und Großevents. Im Gegenteil. Ich bin voll der Stubenhocker, kein großer Reisefreund und Partys machen mir seit ich erwachsen bin, nicht mehr soviel Spaß, weil sie mir mittlerweile zu eng mit Drogen (Alkohol etc.) verknüpft sind und ich halt keine nehme. (Hier hatte ich dazu schon mal was geschrieben: https://theaterberlin.blogspot.com/2020/06/corona-theatertagebuch-freitag-12-juni.html)
ABER: Ich hatte mind. alle 4-5 Monate irgendwelche Aufführungen meiner Gruppen. Das war dann gefühlt immer vier Tage Feierstimmung und Aufregung am laufenden Band. Ich war etwa alle ein- bis zwei Wochen mal in einem Restaurant oder Café. Ich war bei Freund:innen zu Besuch. Alle zwei Wochen konnte ich einfach so meine Oma im Heim besuchen, ohne Termine, ohne irgendwas, und auch mal mit meinem Bruder, meinem Mann oder meiner Mutter zusammen, nicht immer nur alleine. Etwa jedes halbe Jahr war ich mal für 2-4 Tage im Urlaub – in Wien oder an der Ostsee. Ich war sogar ganz selten mal auf Geschäftsreise, in Hamburg oder Köln. Etwa alle drei Monate ging es für einen Tag an die Ostsee. Morgens hin und abends zurück, dazwischen viel Zeit in einem Strandkorb am Strand von Warnemünde, mit Blick auf's Meer. Ab und zu war ich auf Geburtstagsfeiern und bei Theaterinszenierungen von anderen Amateurgruppen. Überhaupt: ich war in der Regel einmal pro Monat im Theater, oft und sehr gern alleine.
All das geht so nicht mehr.
Am Wochenende war also mal wieder so ein Moment des Lockdown-Kollers. An dem alles langweilig ist. Weil es grad immer dasselbe ist. Mein Mann und ich haben also erst eine Weile rumgejammert und dann entwickelte sich ein langes Gespräch und danach ging es mir sofort besser. Und der Abend war dann wieder richtig schön.
Diese Ermüdungsmomente sind alle paar Wochen da. "Die Pest" von Camus zu lesen, tröstet mich aber gerade sehr. All diese Momente werden dort schon beschrieben. Alle Phasen, die wir gerade während dieser Pandemie durchleben.
Dazu passend ein Song: https://www.youtube.com/watch?v=cJdABt9-PKQ

So, und was ja auch immer mal ganz wichtig ist, ist neuer Input. Hier mal wieder ein Interview, dieses Mal über "Klassismus":
https://www.zeit.de/hamburg/2021-04/klassismus-kunstszene-bildungsbuergertum-verena-brakonier-francis-seeck

Die Abendsonne guckt durch die Wolken und bevor es in einer Stunde in den Kollegialen Austausch geht, hier noch ein Interview:
https://www.nzz.ch/feuilleton/auf-corona-koennten-die-goldenen-zwanziger-dieses-jahrhunderts-folgen-aber-erst-2024-der-epidemiologe-nicholas-christakis-sieht-grund-zum-optimismus-aber-die-pandemie-fordert-noch-viel-geduld-von-uns-ld.1609273?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE



Dienstag:

Die Sonne scheint und ich bin müde. Gestern abend beim Kollegialen Austausch schienen auch alle etwas müde. Die Energie wurde insgesamt abgezogen. Nick und ich haben heute den 1. Akt des Stückes, mit dem wir uns gerade beschäftigen, fertig gelesen. Und natürlich wieder getanzt, wieder zu einem Wunsch-Song von ihm:
https://www.youtube.com/watch?v=IviYsUdUj6w

Nachmittags ein Spaziergang mit meiner Kollegin aus dem Kollegialen Austausch, bei dem wir an einem Buchladen vorbeikamen und nicht widerstehen konnte, ein Kinderbuch über das Meer zu kaufen. Die Illustrationen haben mich geflasht und ich habe beim ersten Durchblättern schon neue Dinge gelernt, z.B. was der Bugspriet bei einem Schiff ist.

Gegen Abend ging es dann mit den Auszubildenden der LAG raus zum Spazieren. Allerdings nicht physisch zusammen, sondern per Signal verbunden. Jede*r spazierte in der eigenen Umgebung und wir stellten Aufgaben per Signal. Später ging es dann in Zoom weiter und wir haben schon lange nicht mehr soviel gelacht.



Mittwoch:

Müde bin ich wieder. Die Situation und das Wetter machen müde. Voller Begeisterung habe ich heute früh  "Die Pest" fertig gelesen. Es ist wirklich ein grandioses Buch, absolut grandios!
Jetzt starte ich mit "Was vom Tage übrig blieb" von Kazuo Ishiguro, was wohl auch verfilmt wurde. Der Film muss dann natürlich auch noch sein, wenn ich mit dem Buch fertig bin.


Das Lesen ist grad eines der wenigen Highlights. Die Tage sind zurzeit anstrengender, weil alles so gleich ist. Es fehltenUmgebungswechsel. Können wir nicht einfach einen knallharten Lockdown machen und danach wieder erste Öffnungen? So wie es jetzt ist, zieht es sich einfach ewig hin.

Aber noch eine positive Nachricht des Tages:
https://taz.de/Alternative-Leitungsmodelle-am-Theater/!5760969/

Am Nachmittag ist mir kalt und schüttelig und ich habe Kopfschmerzen. Ich will keine Erkältung! Mit einer Kanne Tee und meinem Mann kuschel ich mich ins Bett und wir gucken zusammen "Yesterday", den ich schon seit Ewigkeiten sehen wollte. Am Schluss singen wir laut mit und ich fange an zu weinen, weil mir auf einmal schmerzlich bewusst wird, dass ich nirgendwo zu einer Veranstaltung gehen und mit anderen Menschen laut bei Songs mitsingen kann – nicht in einer Theatervorstellung, nicht bei einem Konzert, nicht beim CSD, nicht bei einem Straßenfest, nicht beim Karaoke. Einfach gar nicht.
ABER ich kann es mit meinem Mann und das ist für mich so so wichtig. Hier der Trailer zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=Ry9honCV3qc

Abends beim Improvisieren mit meiner "neuen" Theatergruppe Tränen gelacht. Momentan erwägt die Gruppe eine Online-Inszenierung. Es bleibt spannend.



Donnerstag:

Der Tag begann ganz brav mit Yoga.

Schlechte Nachricht des Tages: Der Berliner Mietendeckel wurde gekippt! Enttäuschend, einfach nur enttäuschend. Dann können wir schonmal Geld zum Nachzahlen raussuchen.

Gute Nachricht des Tages: Ich habe einen ersten Abschnitt für das Hörspiel der Gruppe Vorspiel geschnitten.

Die abendliche Vorspiel-Probe war unglaublich lustig. Diese Probenwoche ist herrlich albern bei allen Gruppen, das begrüße ich sehr und fühlt sich sehr erlösend an.



Freitag:

Befinde mich gerade in einer langen Doppel-Woche (werde das Wochenende durcharbeiten) und versuche möglichst viele entspannte Phasen und Pausen einzubauen. Merke auch, dass ich oft unmotiviert bin. ABER: Ich bin sehr froh, dass ich gerade viel Arbeit habe. Besonders da ja jetzt der Mietendeckel wieder weg ist ...

Abends das vorerst letzte gemeinsame Seminar mit meinen Kolleg:innen Marion und Michael. Man, das werde ich vermissen. Und wie! Wir haben noch mit viel Lachen den Abend beendet und ich kann es wirklich nicht erwarten, die beiden irgendwann mal analog zu treffen.




Samstag:

Der heutige Tag steht im Zeichen von Telegram. Unsere Gastdozentin Dorothea Kuhs vom Theater Erlangen gibt uns heute die Möglichkeit, uns theatral und spielerisch in Telegram auszutoben, auch in einer hauseigenen Inszenierung. Sehr inspirierend und unterhaltsam!


Habe einen Blogartikel gelesen, den ich absolut unterschreiben kann!
https://www.luziapimpinella.com/think-before-you-write-was-ich-mir-fuer-die-kommunikation-auf-social-media-wuenschen-wuerde/
 


Sonntag:

What a week! Die Woche war lang, anstrengend, lustig, ermüdend, aufputschend, entspannend ... alles auf einmal. Manchmal langweilt mich dieses Tagebuch, manchmal langweilt mich der Lockdown. Und dann ändert sich innerhalb einer Probe, eines Erlebnisses wieder alles.
Gestern abend war meine Corona-Buddy-Freundin Carmen zu Besuch und hat für meinen Mann und mich eine private Yoga-Stunde gegeben, die total entspannend und angenehm war. Lauter ruhige Übungen und ein Teil Yin-Yoga.  Nach dem langen Telegram-Tag war das total entspannend.
Je mehr Abwechslung ich in den Alltag kriege, desto besser geht es mir. Ich habe eine App (ATracker), mit der ich die Stunden erfassen kann, die ich für bestimmte Tätigkeiten brauche. Ich habe damit vor über einem Jahr angefangen, um mal einen Überblick über meine Arbeitsstunden zu bekommen, auch das Homeoffice. Aber dann habe ich auch andere Dinge getrackt, wie Spaziergänge, "Creative Time", Netzwerken, Yoga, Kulturerlebnisse usw. Jede Tätigkeit wird mit einer anderen Farbe dargestellt und in einem Kreisdiagram werden dann die jeweiligen Anteile am Tag entsprechend farbig markiert. Je bunter ein Tag, desto erfüllender ist er. Und ich hatte eine Weile keine eher einfarbige Tage, doch jetzt werden sie langsam wieder bunter. Und das spüre ich auch.

Das Wochenende endet mit Spaghetti und der Vorfreude auf einen freien Tag morgen, quasi als Nachhol-Wochenende.

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