Corona-Theatertagebuch – Freitag, 01. Mai 2020



13:05
Uhr:

Tag der Arbeit. Ein Tag ohne Termine. Habe erstmal im Büro weitergeräumt und jetzt endlich eine weiße Wand im Hintergrund sowie zwei Schreibtische: einen für Computerarbeit, einen für Schreib- und Bastelarbeiten. Und auch noch einen Steharbeitsplatz. Soviel Auswahl!

Zeitgleich räumt mein Mann im Wohnzimmer um. Lauter Dinge werden aussortiert, die wir gar nicht mehr benutzen: ein Schreibtischstuhl, Metallregale, Bücher ... Sobald sich die Lage irgendwann mehr normalisiert, verkaufe und verschenke ich wieder Sachen über ebay-Kleinanzeigen.


14:17 Uhr:

Drucker umgeräumt und den Stehplatz eingerichtet. So langsam nimmt das hier alles neue Formen an.


17:25 Uhr:

Ein großer Teil der Kurs-Interessierten hat sich schon zurückgemeldet auf meine Absagen. Heute hat zum ersten Mal eine interessierte Person, die schon bezahlt hatte, den Betrag gespendet, und ich freue mich sehr. Danke dir!


18:15 Uhr:
Wenn ich auf Facebook gehe, fühle ich mich gerade überrollt von den "Wir sind aber auch systemrelevant"-Artikeln der Kulturschaffenden. In meinen Kopf schleicht sich immer mehr ein Gedanke: Sind wir das wirklich? Unserem eigenen Gefühl nach schon, natürlich. Die Menschen lieben und brauchen Kultur. Aber rein pragmatisch gesehen sind Theater, Konzerte, Oper und Co. in gewisser Weise auch immer ein Luxus. Es gibt so viele Menschen, die nie ins Theater gehen. Und das nicht unbedingt, weil sie nicht die Möglichkeiten haben, sondern bei vielen auch, weil es sie nicht interessiert. Einige meiner Freunde sind absolut keine Theatergänger. Mein Mann geht nur ins Theater, wenn ich auf der Bühne stehe. Wir waren früher oft gemeinsam im Theater, aber irgendwann ging ihm das elitäre Publikum auf die Nerven. Und ich kann ihn verstehen. Das ist einer der Gründe, warum ich im Theater am liebsten in der ersten Reihe sitze – um mich nicht so sehr mit den anderen Zuschauenden auseinandersetzen zu müssen. Das ist vermutlich asozial. Aber ich fühle mich ganz oft mit dem Publikum nicht verbunden. Ich lache dann laut allein und niemand lacht mit. Oder ich bin so gerührt vom Bühnengeschehen, dass mir Tränen die Wangen herrunterlaufen, und es ist mir unangenehm, weil die anderen gar keine Reaktionen zeigen. Es kommt auch vor, dass mich das Bühnengeschehen verwirrt  oder abstößt und ich richtig entsetzt bin, wenn das Publikum begeistert ist. Manchmal liebe ich aber auch das Publikum – wenn wir an den gleichen Stellen lachen, wenn ich eine positive Energie im Raum spüre. All das ist logisch, weil auch das Theaterpublikum aus vielen, unterschiedlichen Menschen besteht. Aber ist es nicht so, dass ich mich im Theater oft (nicht immer!!!) in einem elitären Kreis bewege? Elitär nicht im Sinne von reich, sondern im Sinne von priviligiert. In einer Blase.
Ich verstehe wahnsinnig gut die Frustratrion aller Kulturschaffenden. Für uns ist das alles wahnsinnig wichtig. Die reiche Kulturlandschaft Deutschlands ist ein Schatz. Der aber nicht unbedingt für alle so wertvoll ist wie für uns.
Auch ich möchte all das erhalten! Ich liebe all die Kultur, die wir hier haben! Deshalb unterzeichne und unterstütze ich alles, was mir unter die Finger kommt und spende, was ich kann. Dennoch läuft das System im Notfall auch ohne uns ... zumindest eine ganze, lange Weile.



18:40 Uhr:

Ich geh nochmal kurz raus. Feierabend.

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