Status & ... Geduld
Hiermit eröffne ich eine neue Blogreihe: die Kategorie "Status & ..."
In dieser Kategorie werden die nächsten Monate unterschiedliche Artikel erscheinen, die das Thema Status in Kontext zu anderen Themen setzen und erklären, was das eine mit dem anderen zu tun hat.
Seit meiner Ausbildung bin ich vom Thema Status angefixt und habe es zu einem meiner Schwerpunkte in meiner Arbeit gemacht.
Ich spreche auch gern von StatusVERHALTEN, weil es für mich einfach eine große Summe von Statushandlungen sind, die oft und schnell wechseln und eine lebendige Kommunikation ausmachen.
Auf meiner Website beschreibe ich ausführlich, was damit gemeint ist:
https://www.sarah-bansemer.de/status
Auch auf meinem Blog gab es schon Artikel zum Thema:
Ich freu mich drauf, die Gedanken fließen zu lassen. Wenn ihr Themen habt, zu denen ihr gern meinen Status-Senf dazu haben wollt – immer her damit! Einfach in die Kommentare oder mich persönlich anschreiben.
Los geht's heute mit dem Thema "Status & ... Geduld". Ganz eigennützig aus aktuellem Anlass.
Seit einem Monat nehme ich an einem wöchentlichen Keramikkurs teil. Dort lerne ich das Drehen von Alltagskeramik, also Schalen, Tassen, Becher, Teller usw.
Vorher habe ich schon zwei Wochenendworkshops zu dem Thema besucht, hatte also schon ein bißchen Vorerfahrung. Die Wochenendworkshops waren in einer anderen Keramikwerkstatt, es sind also zwei unterschiedliche Lehrerinnen. Und WIE unterschiedlich sie sind!
Die Töpferin von den Wochenendworkshops ist als Lehrerin eher der Laissez-faire-Typ. Sie lässt ihren Teilnehmern viel Raum zum Ausprobieren und greift nur wenig in den Entstehungs-Prozess ein. Dieser Typ entspricht auch meiner eigenen Lehrpersönlichkeit in meiner Theaterarbeit. Raum geben, Fehler machen lassen, aber als sicherer Felsen vor allzu schlimmen Katastrophen bewahren. Wenn jemand nicht mehr weiter weiß, mit Tipps und Tricks zur Seite stehen.
Der Vorteil: Man hat viel Freiheit, sich auszuprobieren und eigene Fehler zu machen sowie einen eigenen Stil zu finden.
Der Nachteil: Man lernt keine feste Methode kennen, sondern schustert sich selbst seine eigene Methode aus den Ratschlägen zusammen.
Die Töpferin des wöchentlichen Kurses ist als Lehrerin eher der kontrollierende Typ. Sie guckt sehr genau, greift selbst viel ein, macht sehr viel vor und kontrolliert die Arbeit, damit keine Fehler entstehen. Sie hat einen festen Plan und eine feste Methode, die sie verfolgt und einem beibringt.
Der Vorteil als Lernender: Man lernt eine genaue Methode und Technik kennen, die man dann einfach nur wiederholen muss.
Der Nachteil: Man hat wenig Möglichkeiten, Fehler zu machen, sich selbst auszuprobieren und eigene Lösungen zu finden.
Unsere Lehrstile, die wir innehaben, beinhalten auch Statushandlungen. Grundsätzlich gilt: Der Hochstatus nimmt sich Raum, der Tiefstatus gibt Raum – mit dem Körper, im realen Raum und in der Zeit.
Als Laissez-faire-Lehrer gebe ich Raum, gehe also selbst in einen tieferen Status und erhöhe dadurch mein Gegenüber. Der Lernende hat mehr Raum und steigt dadurch im Status. So fühlt er sich auch. In den Momenten, in denen ich eingreife und Tipps gebe, erhöhe ich meinen Status und der meines Gegenübers sinkt. Ich nehme mir den Raum, als Lehrer wahrgenommen zu werden, als Respektsperson. Der Lernende bekommt in den diesen Momenten weniger Raum und nimmt sich zurück.
Als kontrollierender Lehrer nehme ich mir Raum, gehe also selbst in einen höheren Status und erniedrige dadurch den meines Gegenübers. Der Lernende ist zurückgenommen und gibt mir Raum zum Erklären. Ich gebe die Handlungen vor und der Lernende folgt. Wenn ich dem Lernenden dann Zeit und Raum gebe, das Gelernte selbst auszuüben, erhöhe ich seinen Status und nehme selbst einen tieferen Status ein.
Bei Statushandlungen geht es immer um ein Gleichgewicht. Je ausgeglichener die Status-Wippe ist, desto wohler fühlen sich die Handelnden. Dieses Gleichgewicht kann jedoch nur entstehen, wenn beide Seiten bereit sind, hohen und tiefen Status zu gleichen Teilen anzunehmen und zu zeigen.
Im Fall der beiden Lehrertypen oben ist es spannend: Schaffen sie es, das nötige Gleichgewicht herzustellen? Können sie in den richtigen Momenten Raum geben oder Raum einnehmen?
Und wie reagiert das Gegenüber? Denn dieses sensible Gleichgewicht funktioniert ja immer in Relation zum Anderen.
Ich persönlich fühlte mich bei der Laissez-faire-Lehrerin wohler. Ich brauche stets viel Raum, um mich frei zu entfalten, bin eher ein distanzierter Typ, der gern für sich allein arbeitet. Gern lasse ich mir Tricks und Kniffe zeigen, aber nur, wenn ich der Meinung bin, die Hilfe gerade zu brauchen. Genauer gesagt: wenn ich darum bitte. Eingriffe und Hinweise, um die ich nicht explizit gebeten habe, empfinde ich schnell als Bevormundung und Einengung. Ich möchte Fehler machen dürfen, für mich selbst. Ich möchte Unsinn machen, gegen die Regeln verstoßen, austesten, was alles geht. Auch auf die Gefahr hin, dass ich dabei mein eigenes Werk ruiniere.
Der erste Monat im neuen Kurs war nicht einfach. Meine Lehrerin ist eher der Micro-Manager und ihrem Adlerauge entgeht nichts. Sie greift schnell ein und erlaubt mir teilweise nicht, bestimmte Schritte selbst zu machen. Sie möchte, dass ich es richtig mache, nach Protokoll. Es sollen keine Fehler entstehen, das fertige Produkt soll perfekt sein.
Gerade in handwerklich-künstlerischer Sicht ist das für mich schwer auszuhalten. Greift jemand in mein Werk ein und fasst es an, so ist es in dem Moment nicht mehr mein eigenes Werk. Jeder Pinselstrich, den eine andere Person für mich macht, jede von anderer Hand aufgenommene Strickmasche und jeder fremde Fingerdruck an meiner Schale auf der Drehscheibe macht aus meinem eigenen Projekt ein gemeinsames. Aber ich möchte nicht immer gemeinsame Projekte machen. Ich möchte auch alleinige Projekte machen. Sehr oft sogar.
Jeder Termin war deshalb eine Geduldsprobe für meine Nerven. Schon ab dem zweiten Termin machte ich heimlich – wenn sie gerade nicht hinsah – bestimmte Arbeitsschritte ohne ihre Erlaubnis abzuwarten. Mein innerer Rebell erwachte in diesen Augenblicken. Nach diesen kurzen rebellischen Ausbrüchen schaffte ich es wieder, mich in Geduld zu üben und auf ihr kritisches Auge zu warten.
Beim letzten Termin saß sie in der Nähe, half einer anderen Teilnehmerin des Kurses beim Drehen einer Schale und schielte ständig zu mir herüber. An diesem Tag bemalte ich meine Gefäße, die ich (bzw. "wir") die letzten Termine gedreht habe. Da ich sehr vertieft war und viel Erfahrung im Malen habe, konnte sie mir nicht helfen. Es gab einfach keine Gelegenheit für sie, in meine Arbeit einzugreifen, sich Raum zu nehmen. Sie musste Geduld haben. Viel Geduld. Das machte sie nervös, das spürte ich. Denn Geduld fällt in den Bereich der Tiefstatus-Handlungen. Geduld bedeutet, dass ich warten kann, bis sich für mich wieder Raum öffnet bzw. bis ich mir wieder Raum nehmen kann.
Und ich dachte, dass dieser Kurs für uns beide eine wunderbare Übung in Geduld ist. Für mich das Ertragen des Eingriffs in meinen Raum. Für sie das Ertragen eines mitunter schon ausgefüllten Raumes, in dem manchmal kein Platz für sie ist.
Wie geht es euch mit der Geduld und den verschiedenen Lehrertypen? Was braucht ihr und womit fühlt ihr euch wohl? Wie lernt ihr am besten?
Kommentare
Kommentar veröffentlichen