#freitagsgedanken – Zeit & Raum


Zeit & Raum

Letzte Woche wollte ich Urlaub machen. Also so für mich allein. Facebook-freie Zeit und viele Basteleien.
Das war ein guter Plan, wenn da nicht unerwarteter Steuerkram dazwischengekommen wäre, der uns fast verrückt gemacht hätte. Wir haben ewig rumgerechnet und endlich herausgefunden, was wir suchten.
Zudem war klar, dass ich beim Finanzamt anrufen muss. Wer mich kennt, weiß, dass ich Anrufe bei Ämtern / Institutionen und eigentlich generell bei fremden Menschen nicht so geil finde. Eher semigut. Also quasi scheiße. Nicht so schrecklich wie Nadeln im Körper, aber schon ziemlich schlimm.
Die Folge: ich machte mir die ganze "Urlaubs-"Woche hindurch Stress.
Und so richtig erholsam war die Woche dadurch nicht. Was aber gut war: ich wurde immerhin nicht durch Facebook abgelenkt. Und ich schaffte es, EINEN Stempel zu schnitzen: Klick.

Und so rückblickend denke ich: schafft man es überhaupt, für alle seine Bedürfnisse Raum und Zeit zu haben? Für wirklich alle? Irgendwie passt selten alles perfekt, meist muss man an irgendeiner Stelle Abstriche machen. Und sei es nur, weil die Temperaturen viel zu heiß sind, um den Lieblingskuchen zu backen.

Gestern abend saß ich mit meinem neuen Gruppendrang-Kurs zusammen und wir suchten gemeinsam das Stück aus. In der Brainstorming-Runde, in der es um Inszenierungsideen ging, kamen viele Ansätze zusammen, die sich teilweise widersprachen. Auch in den letzten Wochen hatten wir schon ähnliche Momente, da sagte einer der Spieler sehr schlau: "Ich glaube, wir schaffen es nicht, in dieser Gruppe etwas gesellschaftskritisch zu inszenieren, weil wir unsere politischen Ansichten sich nicht genau decken." Und er hat sowas von recht! Es geht dabei nicht um Unterschiede wie AfD vs. Die Linke. Selbst wenn sich alle eher auf einer Seite einordnen, gibt es dennoch in den Details Unterschiede. Manche sind viel kapitalismuskritischer als andere, einigen liegt Umweltschutz mehr am Herzen, anderen die LGBTQ-Rechte, manche finden Social Media super, andere superscheiße. Es gibt so wahnsinnig viele Unterschiede. Und in einer gemeinsamen Theaterarbeit mit begrenztem Zeitrahmen gibt es weder Zeit noch Raum all diese Unterschiede herauszufinden, zu erklären, zu diskutieren und daraus einen Konsens zu basteln.
Ich denke, das ist auch okay so. Es ist nicht der Fokus, der liegt in diesem Fall woanders. Aber im Hinterkopf, da sollten wir immer behalten, was noch so alles im Untergrund schlummert. Uns dessen gewahr sein, dass da Themen sind, für die gerade kein Raum ist. Und zumindest in unserem Kopf ein bißchen Raum dafür schaffen.

Auf der Bühne können wir hingegen mit Zeit und Raum ganz praktisch umgehen. Wir können Distanz wahren oder aneinander kleben. Wir können gemächlich spielen und superschnell. Durch diese Entscheidungen und die daraus entstehenden Bilder öffnen wir auf einmal Zeit und Raum – in den Köpfen der Zuschauer. Denn für diese gehen neue Welten auf, Stimmungen werden aufgefangen und Assoziationsketten in Gang gesetzt.
So können wir plötzlich durch die Beschränkung von Zeit und Raum eben diese vergrößern. Ein Paradox, nicht wahr?

Heute abend werden die Teilnehmer des Vorglühen-Workshops damit experimentieren, in verschiedensten Theaterübungen mit der Zeit und dem Raum, den sie haben, spielen – und so die eigene Wahrnehmung erweitern.

Kommentare