Über das Nachhallen ... und die Wirkung von Theaterpädagogik bei Erwachsenen

Der Schlüssel ist abgegeben, alle Teilnehmenden auf dem Heimweg, ich trete auf die Straße und genieße die ersten Schritte in völliger Ruhe. Kein Lachen, kein Rufen, keine Theatertexte, keine Musik. Auch keine Fragen mehr, die ich beantworten muss. Stille.

Ein Gefühl, das sicherlich viele Theaterpädagog*innen kennen. Dieses Gefühl nach einer Probe, einem Workshop, einer Projektwoche, einer Aufführung. Mal am Nachmittag, mal am Abend, mal tief in der Nacht.
Einfach nur sein und durchatmen. Wieder das private Ich werden, nicht mehr das Anleitungs-Ich.

Wenn ich dann die Straße entlang laufe oder in der Bahn sitze, gehen die Gedanken zurück zu den letzten Stunden, halten sich fest an bestimmten Momenten. An Beobachtungen. An Einschätzungen. Hatte der eine Teilnehmer keine Lust oder war er nur müde? Hätte ich in dieser einen Situation intervenieren sollen? War ich in der anderen Situation zu unmotivierend? Es war ganz gut, dass ich die eine Übung weggelassen habe, das hätte nicht gepasst. Nächstes Mal will ich unbedingt noch eine Übung mit Objekten einbauen. Wie ging es dieser einen Teilnehmerin, sie war so still? Kommt sie noch einmal wieder?
Diese Gedanken arbeiten ein Weilchen vor sich hin, vielleicht werden auch Notizen daraus, die ich in mein Notizbuch kritzele.
Und dann wandern die Gedanken zu den nächsten To Do’s, zum nächsten Workshop, zur nächsten Probe, zu den anstehenden Social Media Posts, zur Steuererklärung, zu den Änderungen auf der Website, zu Treffen mit Freund*innen.
Zuhause angekommen erzähle ich meinem Partner die lustigsten und schwierigsten Momente, teile das Erlebte.
Und dann ist das Nachhallen vorbei. Zumindest für mich …

„Hi Sarah, hast du Lust, dich heute nachmittag kurz im Café zu treffen? Ich würde gern Nachlese vom Wochenende machen“, fragte mich eine Freundin, die gerade an den beiden Tagen zuvor an einem Theaterkurs von mir teilgenommen hatte. An dem Wochenende hatte sie in einer Gruppenarbeit die Führung ergriffen und war von sich selbst überrascht. Wir sprachen über die Situation und meine Einschätzung. Sie hatte etwas Neues an sich entdeckt, etwas Ungewohntes.
Wenn Erwachsene in einem Gruppenkontext zusammen spielerisch und künstlerisch aktiv sind, erleben sie sich oft in ungewohnten Situationen. Es gibt keine festgelegte Hierarchie – wie beispielsweise im Arbeitskontext oder in der Familie – und das Miteinander muss neu ausgehandelt werden. Manche übernehmen Gruppenrollen, die sie sonst selten oder nie einnehmen. Sie sind konfrontiert mit ihrem eigenen Verhalten, beobachten sich selbst auf eine andere Weise als im Alltag. Sie vergleichen sich mit Menschen, von denen sie dieses Verhalten kennen, beurteilen es und müssen ihr Bild von sich selbst ein bißchen umbauen, erweitern, neu betrachten.

Beim gleichen Kurs beobachtete eine Teilnehmerin, deren Gruppe mit ihrer szenischen Aufgabe schon fertig war, eine andere Gruppe bei der Arbeit. Ihr Gesicht strahlte. Leise sagte sie zu mir: „Ist das nicht schön, dass man so kreativ miteinander arbeiten kann? Wann hat man dazu im Erwachsenenalter sonst die Möglichkeit?“.
In der Theaterpädagogik wird ein sicherer Raum geschaffen, die Spielfreude zuzulassen und aktiv zu zelebrieren. Es werden Aufgaben gestellt, die von den Aufgaben des Alltags stark abweichen, aber in Ernsthaftigkeit bearbeitet werden, also mit der gleichen (oder gar mehr) Konzentration und Motivation, die die erwachsenen Teilnehmenden sonst beispielsweise im Berufskontext anwenden. Sie erleben dabei oft den sogenannten „Flow“, in dem man tief in eine Handlung eintaucht, sich komplett darauf fokussiert und die Zeit vergisst.

„Ich war so fertig heute und wollte eigentlich absagen, aber ich bin froh, dass ich doch gekommen bin. Jetzt bin ich richtig munter und voller Energie“, sagte ein Teilnehmer bei einer Theaterprobe abends unter der Woche. Die Verpflichtungen des Alltags, lange Arbeitstage, Care-Arbeit, Erkrankungen, Schmerzen und Sorgen sind das Paket, das erwachsene Teilnehmende mitbringen. Es muss einen Raum dafür geben, einen Raum für Austausch und Anteilnahme, um im Anschluss gemeinsam in das kreative Erschaffen zu gehen. Und mit dem kreativen Schaffensprozess in die Selbstwirksamkeit. Oft findet am Abend bei einer Theaterprobe das erste Erfolgserlebnis des Tages statt. Ein wichtiger Moment, der einer Person genügend Durchhaltevermögen für die nächsten Tage geben kann.

Ob Auseinandersetzung mit dem eigenen Körperbild, der eigenen Persönlichkeit oder dem eigenen Kommunikationsverhalten – für Erwachsene ist das gemeinsame Theaterspiel eine große Ressource der Erkenntnisgewinnung.
Inhaltliche Themen und theatrale Techniken können auch neu sein, aber sie knüpfen leichter an vorhandenes Wissen an. Lernen im Erwachsenenalter ist immer Anschlusslernen, aufbauend auf einem bereits sehr großen und breiten Wissensschatz.
Aber sich selbst immer wieder in neuen Gruppenkontexten, in der Bewältigung ungewöhnlicher Aufgaben und in neuen Rollen zu erleben – das ist der größte Gewinn.

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