5 (+1) Gründe für Online-Theater




Zuerst einmal: Ja, ich gebe euch Recht, das Gefühl von analogem Theater kann man nicht ersetzen. Es ist eine ganz besondere Stimmung, ein sinnliches Erlebnis, das absolut einzigartig ist.
Keine Sorge, ich will es gar nicht ersetzen.

Ich will nur die Option, die wir Theaterschaffenden während der Corona-Lockdowns für uns genutzt haben, wieder ein bißchen in's Bewusstsein holen. Denn dass wir damals alle vor unseren Webcams in fremde Rollen geschlüpft sind und ein Bühnenbild aus virtuellen Hintergründen gebastelt haben, hatte einen wichtigen Grund: Infektionsschutz. Das ist natürlich auch jetzt noch ein valider Grund, aber dazu später mehr.

Wer mich kennt bzw. mir schon eine Weile folgt, hat mitbekommen, dass ich weiterhin viel Online-Theater mache (und das auch dauerhaft beibehalten will). Ich leite nicht nur Online-Workshops und -Fortbildungen, sondern auch eine Online-Theatergruppe namens "Kabelbrand". Seit einem halben Jahr gibt es außerdem einen Online-Theaterabend namens "Theater-Menü", an dem verschiedene Amateur-Spieler*innen und Märchenerzählerinnen direkt in Zoom auftreten.

Aber warum hänge ich so am Online-Theater? Dafür gibt es einige Gründe, die ich heute mit euch teilen will:


Überregionalität & Internationalität

Beim Online-Theater können ohne Anfahrtsaufwand und -kosten Menschen zusammen Theater spielen, die weit entfernt voneinander wohnen. In meinem letzten Status-Workshop waren zwei Personen aus Berlin, eine aus Israel und eine aus Frankreich zugeschaltet.
In meiner Online-Theatergruppe "Kabelbrand" wohnen die aktuellen Spielerinnen in Rheinland-Pfalz, Berlin, Potsdam, Darmstadt, München, Südfrankreich und Südafrika. 

Diese Verbundenheit über eine weite Entfernung hinweg, das Kennenlernen unterschiedlicher Lebenswelten und Umgebungen empfinde ich als große Bereicherung und Möglichkeit zur Begegnung.


Zugänglichkeit / Inklusion

Es gab eine Zeit, in der Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Vorerkrankungen und bestimmten Behinderungen plötzlich einfacheren Zugang zu Kulturveranstaltungen hatten, von denen sie jahrelang ausgeschlossen waren. Diese Zeit war während der Pandemie, als die Zuschauenden bei Theater- und anderen Kulturveranstaltungen geimpft und/oder getestet sein mussten und sowohl im Theater, als auch im ÖPNV auf dem Weg dorthin eine Maske getragen haben. Die Gefahr einer Ansteckung – nicht nur mit Corona, sondern auch mit anderen Viren – war dadurch stark verringert und eine große Barriere abgebaut.
Der Wegfall dieser Maßnahmen führte für viele dieser Menschen wieder in die häusliche Isolation und schloss sie vom Kulturleben aus. Besonders betroffen sind Menschen mit ME/CFS und Long Covid / Post Covid.
Auch die ganzen digitalen Angebote gab es plötzlich nicht mehr. Keine Live-Streams von Konzerten, keine digitalen Inszenierungen der Theaterhäuser mehr. Anfangs wurde suggeriert, dass eine neue Zeit der Parallelität von analogen und digitalen Angeboten angebrochen sei, aber das Angebot schrumpfte ganz schnell wieder oder löste sich in vielen Fällen ins Nichts auf.

Mit einer digitalen Live-Veranstaltung kann ich Menschen also eine barriereärmere Möglichkeit zur Teilhabe an Kultur ermöglichen.


Nachhaltigkeit

Natürlich ist die Nutzung des Internets an sich nicht besonders nachhaltig. Aber im Vergleich zu einer analogen Theateraufführung werden einige Ressourcen geschont, indem Anreise der Spielenden und Zuschauenden wegfallen, keine Getränke-Versorgung vor Ort angeboten werden muss, keine Scheinwerfer im Einsatz sind, keine Tickets/Plakate/Programmhefte gedruckt werden, keine Extra-Räumlichkeiten gemietet und gereinigt werden müssen usw.

Das ist kein riesiger Faktor, aber dennoch ein wichtiger.


Herausforderung der digitalen Bühne

Ich mag ja Challenges. Beschränkung fördert bekanntlich die Kreativität und es macht Spaß, zusammen mit meiner Online-Gruppe interessante ästhetische Lösungen für die theatrale Darstellung zu überlegen. Besonders niedrigschwellige Lösungen, die für alle umsetzbar sind.
Verschiedene Kameraperspektiven? Mehrere Geräte? Wie richten wir zuhause den Hintergrund ein? Oder nutzen wir einen virtuellen Hintergrund? Spielen wir Musik oder Sounds ein? Hört man die? Soll ich ein Video teilen oder in meinem Fenster als Hintergrund laufen lassen? Wie muss ich mich vor dem Rechner platzieren, um mit dem Gegenüber auf Augenhöhe zu sein? Nehmen wir diese Szene auf oder spielen wir sie live? ...


Besondere Funktionen

Meine bevorzugte Online-Bühne Zoom bietet verschiedene Funktionen, die für's gemeinsame Theaterspiel interessant sind und eingesetzt werden können. Ab und zu kommen neue Funktionen hinzu oder Updates bringen überraschende Änderungen. Mir macht es Freude, auszutesten, was ich für welche Zwecke nutzen kann. Ob Verschiebung der Kacheln, immersive Ansicht, Einbindung von Umfragen oder Breakout-Rooms – all das sind Möglichkeiten, die die analoge Bühne nicht bietet und die Zoom-Bühne so besonders machen. Und damit auch teilweise andere Dinge kompensieren, die online leider nicht möglich sind.


Und mein persönlicher Extra-Grund: Distanz

Mir ist Distanz ein wichtiges Grundbedürfnis, das ich als Basis brauche. Dabei geht es gar nicht so sehr um physische Distanz, sondern eher um eine emotionale Distanz und eine Sachebene, über die ich in Verbindung mit anderen gehen kann. Physische Distanz ist aber ein "Hilfsmittel", um das Bedürfnis automatisch zu decken. Bei Begegnungen im Zoom-Raum herrscht immer eine Grunddistanz, auch weil man Stimmungen im Raum kaum spürt. Für viele Menschen ist das herausfordernd, für mich ist es perfekt. Es ist einfach für mich und meine Bedürfnisse ein passender Unterrichtsraum, in dem ich mich sehr wohl fühle und deshalb meine Arbeit auch leicht und fröhlich ausführen kann.
Das Thema Grundbedürfnisse (nach dem Riemann-Thomann-Modell) erkläre ich übrigens (wie passend 😁) im kostenlosen Online-Workshop "Alle an Bord? – Vom Umgang mit verschiedenen Persönlichkeitstypen" im Rahmen der Gründungswoche Deutschland: KLICK!



Einige der oben genannten Punkte könnt ihr live erleben beim Online-Theaterabend "Theater-Menü" am 8. Oktober 2024!
An diesem Abend treten mehrere Amateur-Spieler*innen und Märchenerzähler*innen auf, um euch in verschiedenen Programmpunkten, die jeweils zwischen etwa 5 und 20 Minuten lang sind, auf vielfältige Weise zu unterhalten. Das genaue Programm seht ihr hier:




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