Corona-Theatertagebuch – Woche 106
Montag:
Die Woche startet, und es ist immer noch Krieg. Und immer noch Pandemie.
Um mich herum sind gefühlt alle an Covid erkrankt und ich WILL ES EINFACH NICHT HABEN!
Also weiterhin Schnelltests und ggf. Maske bei der Arbeit.
Wollt ihr noch was gruseliges sehen, was NICHT Krieg und Pandemie ist? Dann empfehle ich diese Doku über christliche Religiösität in den USA: https://www.youtube.com/watch?v=AFMvB-clmOg&t=225s
Achja: Ich war gestern zum ersten Mal in Rostock im Theater! Und ganz generell seit einem halben Jahr überhaupt mal wieder. Es war okay, hat mich nicht umgehauen. Ich merke auch, dass ich wieder lernen muss, mich auf eine Theaterinszenierung einzulassen. Und dass es nicht hilft, wenn neben mir Menschen sitzen, die die Maske zu Beginn des Stücks abnehmen und alles mit gespieltem Gestöhne und "lautstarkem Augenrollen" kommentieren. Das lenkt einerseits die anderen Zuschauenenden extrem ab und wirft bei mir die Frage auf, warum die Leute sich das Stück antun, wenn sie es so schrecklich finden. Warum gehen sie nicht einfach?
Mit Nick habe ich heute nicht getanzt, da mein Mann nebenan auch gerade eine Online-Schulung hat und die Musik zu störend wäre. Dafür haben wir gemeinsam Postkarten "geschrieben", also jede*r abwechselnd ein Wort gesprochen. Entstanden sind diese beiden Texte, über die wir uns sehr amüsiert haben:
"Hallo Papa,
ich gehe nicht gern von hier weg. Gestern kam meine Freundin Ingrid, um mich abzuholen! Ich wollte auf keinen Fall mit ihr mitgehen, denn ich hasse Ingrid, aber sie weiß viel zuviel über mich. Manchmal will ich Ingrid fesseln und quälen, aber sie sagt immer, dass ich ihr zuwider bin. Du hast Recht damit, dass sie nicht bei der Heilsarmee gedient hat. Dir möchte ich gern etwas mit auf den Weg geben: Nimm Ingrid mit! Die hat mich gefressen, deshalb komme ich dieses Mal nicht mit zu dir.
Hdl,
deine Ronja"
"Liebe Mutti,
hier kommt nie ein Postmann an, deswegen kann ich auch nicht auf die Weihnachtspost antworten. Diese Nachricht soll dich versöhnen mit der Annegret. Sie hat neulich gesagt, dass sie viel mehr Freude daran hat, mit dem Schmusen von ihrem Köter. Doch das ist enorm schwierig, weil der richtig aggro werden kann. Er beißt in ihr Dekolleté, weil sie solch eine schöne Krümelmenge hat. Das ist für Annegret unschön, doch sie wollte ihn unbedingt haben. Um 18 Löcher musst du gehen, um hierher zu kommen.
Küsse an dein Herz,
du tolle Frau,
dein dich liebender Horst"
Das sind so die kleinen Freuden der Theaterpädagogik. Die großen Freuden sind dann ganze Szenen und Stücke, aber auch die Entwicklung der Teilnehmenden, die gemeinsame Stimmung, die Schaffenskraft.
Ich bin überrascht, dass es momentan überhaupt noch Teilnehmende für Theaterprojekte gibt. Die Gesamtsituation ist so schlauchend und stressend und beängstigend. Niemand weiß, wie die Kriegssituation verlaufen wird, niemand weiß, wann diese Pandemie mal zuende ist.
Ich habe das Gefühl, dass der gerade erwachende Frühling ein bißchen Kraft und Energie gibt und die Menschen jeden Sonnenstrahl aufsaugen wie ein trockener Schwamm.
Manchmal habe ich einen kurzen Moment Sorge, dass mein Beruf in einem Moment absoluter Krise – wenn z.B. plötzlich auch in Deutschland Krieg herrscht – komplett überflüssig ist und ich keinerlei Kunden habe. Aber dann fällt mir ein, dass ich dann ja einfach vorübergehend etwas komplett anderes arbeiten könnte. Hauptsache irgendwie überleben!
Während der Pandemie haben so viele aus dem künstlerischen Bereich (auch Theaterpädagog*innen) komplett in einen anderen Beruf umgesattelt. Manche langfristig, manche nur vorübergehend, um Rechnungen bezahlen zu können. Ich hatte den Luxus, meine Arbeit schnell und unkompliziert in den digitalen Raum verlegen zu können. Diesen Luxus hatten nur wenige. Dafür bin ich dankbar. Jetzt habe ich mich dort so sehr eingerichtet, dass ich mich ein bißchen vor dem analogen Raum fürchte. Er überfordert mich immer wieder, strengt mich mehr an als früher. Ich weiß, dass ich da wieder reinkommen kann, aber ich muss mich da ganz schön selbst treten.
Nachmittags habe ich im Botanischen Garten gesessen und all den Vogelstimmen gelauscht. Absolute Highlights: Im Baum habe ich einen Buntspecht und am Himmel einen kreisenden Seeadler gesehen. Hammer!
Wie kann es denn schon Mittwoch sein? Ist mir ein Rätsel!
Gestern abend hatte ich mal wieder meine Machtspielchen-Online-Workshops. Das erste Mal seit längerer Zeit. Hat Spaß gemacht und ich habe wieder einmal gemerkt, dass Wortwahl ein echt schwieriges Thema in der Lautsprache ist. Man weiß nie, wie stark eine Person ein Wort wahrnimmt, welche Assoziationen sie damit verknüpft und welche persönlichen Erfahrungen sie mit dem Wort hat.
Auch heute im Gespräch mit einer Freundin und im Emailverkehr ging es genau um dieses Thema: Wie drücke ich mich so aus, dass die andere Person genau versteht, was ich meine? Welche Worte werden unterschiedlich interpretiert? Beispielsweise Wörter wie "gleich" oder "gerade". Welchen Zeitraum beschreiben sie? Für manche bedeutet "gleich" eigentlich "sofort", für andere "in 20 Minuten" oder "in einer Stunde". Wenn man "gerade" nicht planen kann, bedeutet das für einige, dass man einen Tag später wieder planen kann. Andere nutzen das Wort aber, um einen unbestimmten Zeitraum zu beschreiben, dessen Ende sie nicht ansatzweise absehen können – ein Monat, 5 Monate, ein Jahr, mehrere Jahre ... alles ist möglich.
Eigentlich könnte man sagen, dass es reine Illusion ist, dass wir uns in Schrift- und Lautsprache leicht verstehen können.
Wichtiger Beitrag: https://raul.de/allgemein/mit-olaf-scholz-zur-arbeit/
Abends mit meiner Online-Theatergruppe den 1. Akt von "Ein Volksfeind" gelesen und die Inhalte zusammenngetragen. Ich bin schon jetzt sehr gespannt, was wir daraus machen.
Ich habe heute Yoga gemacht! Das erste Mal seit der OP konnte ich mich dazu durchringen. Und es ging ganz gut.
Hier ein interessanter Test zur eigenen Medienkompetenz im digitalen Raum: https://der-newstest.de/
Die abendliche Vorspiel-Probe fand per Zoom statt und war sehr produktiv und wohltuend und lustig. Gerne mehr!
Heute explodiere ich förmlich vor Motivation. Die letzten Tage sind einfach viele schöne Dinge passiert, ich habe mich zu manchen Sachen endlich mal aufgerafft, Nils Holst und ich wurden für einen Workshop gebucht und mit meiner Kollegin Vera habe ich heute viele Dinge für die LAG besprochen und ein sehr produktives Treffen gehabt.
Außerdem werden mich in den nächsten zwei Monaten mehrere Freund*innen und Familie besuchen und ich bin schon voller Vorfreude.
Am späten Nachmittag sind mein Mann und ich mit der Elektrofähre über die Warnow gefahren und von der anderen Uferseite den großen Bogen und dann über die Brücke und am Stadthafen zurück nach Hause gelaufen, im Sonnenuntergang. Rostock wacht jetzt richtig auf, der Frühling zieht in die Stadt, die Menschen sitzen auf den Treppen am Hafen und in den Restaurants, haben Spaß, hören Musik und genießen das Leben. Auch das färbt ab und macht auch mich glücklich.
Zum Feierabend möchte ich euch noch diese amüsante Impro-Serie dalassen:
https://www.ardmediathek.de/sendung/kranitz-bei-trennung-geld-zurueck/staffel-1/Y3JpZDovL25kci5kZS80NzI3/1
Jetzt freue ich mich auf ein entspanntes Wochenende.:)
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