Corona-Theatertagebuch – Freitag, 13. März 2020



7:44 Uhr:

Ich werde wach, wanke verschlafen auf Klo und lege mich wieder ins Bett. Mir fällt auf, dass heute der Tag ist, an dem ich mich der Corona-Krise in Bezug auf meine Arbeit stellen muss. Ich kuschel mich an meinen Mann. Ein halbe Stunde später stehen wir dann doch auf. Ich mache mir einen Tee und setze mich an den Rechner.
Der gestrige Tag hat eine neue Info nach der anderen ausgespuckt. In meinem Basiskurs kamen ein paar Teilnehmende nicht und wir beratschlagten am Anfang, wie wir mit der Corona-Problematik umgehen. Als ich sagte, dass man auch bei leichtem Husten zu Hause bleiben soll, meinte eine teilnehmende Person, dass sie dann jetzt gehen müsse. Das tat mir leid und ich wollte sie nicht nach Hause schicken, auch weil sie sich fit und nicht krank fühlte. Ich fragte alle, ob jemand einen Einwand dagegen hat, dass sie bleibt. Keiner hatte was dagegen und die Probe ging los. Nach etwa 15 Minuten beschloss die Person dann doch zu gehen, weil sie zuviel Angst hatte, uns anzustecken. Das hat sich komisch angefühlt und ich war richtig betrübt. Der Kurs ging weiter und die Übungen haben gut geklappt. Ich habe darauf geachtet, dass sich keiner berühren muss ... und das beim Thema Improtheater. Aber es ging, auch wenn irgendwie die Stimmung gedämpft war.
Danach stand die Probe mit den Vorspielern an, aber mehrere waren krank oder anderweitig verhindert. Auf dem Weg zum Probenraum las ich eine Mail vom Jugendclub, in dem ich gerade meinen Dienstagskurs mache, dass sie augenblicklich schließen. Sie entschuldigen sich für die Unannehmlichkeiten. Kein Raum mehr. Ich war frustriert, auch weil wir in eben diesem Raum am 15. Mai eine Szenencollage aufführen wollten. Eine zweite Mail trudelte ein: das Deutsche Theater sagt alle Vorstellungen ab, auch die, auf die ich mich wahnsinnig freute. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ich fing an zu weinen. In einer Häuserecke schickte ich eine Sprachnachricht an meinen Mann. Dann gings wieder. Kurze Zeit später saß ich mit nur einer Vorspielerin im Restaurant um die Ecke des Probenraums und habe gequatscht. Natürlich über die Krise, darüber, wie es mit der Gruppe weitergehen könnte. Die Vorspieler spielen zusammen seit fast 10 Jahren, kennen und lieben sich. Meine Idee: wir proben online. Es war ein schönes, entspanntes Gespräch. Genau das richtige an so einem Tag.
Nach einer Stunde etwa beendeten wir den Abend, ich ging noch in den Supermarkt und kaufte in Prepper-Manier Streichhölzer und Tiefkühlgemüse.
Der Heimweg war eigenartig. Die Stimmung in der Stadt wie in Watte gepackt.


9:00 Uhr:

Ich brauche Austausch mit Kollegen und beschließe spontan eine Facebookgruppe für betroffene Theaterschaffende zu gründen. Sie wird super angenommen und füllt sich rasant. Ich fühle mich allein dadurch schon gestärkt.
Anschließend beginne ich alle Kurse und Gruppen sowie die Vermieter meiner Probenräume anzuschreiben. Meine Mittwochsgruppe trifft es am härtesten. Sie tun mir so leid! Sie haben rein theoretisch in 3 Wochen Aufführungen. Eigentlich warte ich nur darauf, dass das Theater alle Veranstaltungen absagt. Ich schlage eine Krisensitzung in Zoom am Sonntag vor. Die Reaktionen sind gemischt, nicht alle sind multimedia-affin. Aber wir werden das wuppen!


14:22 Uhr:

Mittlerweile sind alle Gruppen und Kurse informiert. Meine Vorspieler haben mich gerührt. Mit ihnen möchte ich gern donnerstags weiterproben, online in Zoom. Nächsten Donnerstag werden wir es einfach mal ausprobieren und besprechen, ob es eine Option für den Übergang ist. Positive Reaktionen kommen und mehrere pausierende Spieler wollen sich auch einschalten, um alle wiederzusehen. Schöööön!
Auch meine Dienstagsgruppe wird am Dienstagabend online eine Krisensitzung abhalten.
Meinen Basiskurs lasse ich online konsensieren (hier: https://acceptify.at/de/start), denn er lief erst vier Termine und es gibt auch keine Aufführungen. Entweder der Kurs wird abgebrochen und die Leute kriegen den Restbetrag der Kursgebühr zurückgezahlt oder der Kurs pausiert auf unbestimmte Zeit oder sie steigen beim nächsten Kursstart wieder neu mit ein ohne neu zu zahlen. Mal sehen, wie die Entscheidung ausfällt.

Nebenbei trudeln Schließungsmails von allen möglichen Theatern ein. Großer Shut Down.
Meine Facebookgruppe ist aktiv, das ist toll!
Zeit für eine Mittagspause.


15:50 Uhr:

Das Nachmittagstief ist da. Ich bin unmotiviert und dödel im Netz rum. Ich lese diese Tweets und muss Tränen lachen:
https://www.thebestsocial.media/de/das-ganz-grosse-finale-die-besten-tweets-zur-letzten-folge-vom-bachelor/?fbclid=IwAR1WMGsZaAH_4qVS0mcdvxSr4vDh97HP9vgH9F8lCdv3hB2xYq0Ofxd_OXo

Mein Kater hat Angst vor dem Sturm und sucht Zuflucht in meiner Recyclingpapier-Kiste unter'm Schreibtisch.





Außerdem habe ich beschlossen, die letzten Theatertickets, die ich gekauft habe, zu spenden statt sie erstatten zu lassen. Überlege, ob ich das meinen Kunden als Option für einen schon bezahlten Workshop anbiete. Entscheide mich, es einfach zu machen.


16:23 Uhr:

Wow, eine Teilnehmerin möchte wirklich ihren schon gezahlten Workshopbetrag spenden und verzichtet auf eine Rückerstattung. Ich bin baff und happy!


16:54 Uhr:

Ich fühle gerade starke Solidarität und Entgegenkommen. Bin etwas überwältigt. Beide Vermieterinnen lassen mich einfach bis Ende April aussetzen ohne Miete zu bezahlen. Ab Mai wird dann neu überlegt.


20:31Uhr:

Ich habe Veranstaltungen auf Facebook abgesagt und widme mich dem Update meiner Website. Mit Begeisterung sehe ich, dass eine Streaming-Plattform für Theater, Tanz und Performance vorzeitig online geht: https://www.spectyou.com/?fbclid=IwAR0XvmqmfW9QYCf7RmcnIhKNc5cooJHRk8M_Vq0ZXUC1ClWk7W4UcNBD1nc


21:01 Uhr:

Feierabend für heute.


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