"Intimacy on Set" – Vortrag von Intimacy Director Ita O'Brien




Im Schauspiel geht es darum, die Realität abzubilden – mal auf besonders authentische, mal auf überspitzte Weise. In beiden Fällen ist jedoch auch immer Intimität ein Teil der Realität. Die Intimität zwischen zwei Menschen, sei es eine gewollte, eine leidenschaftliche, eine vorsichtige, eine liebevolle, eine brutale oder aufgezwungene Intimät.
Weil sie dazu gehört, muss sie auch abgebildet werden. Aber wie macht man das so, dass sich die Schauspieler*innen dabei sicher fühlen? Denn die Darstellung von Intimität birgt auch immer das Risiko einer Grenzverletzung und somit sexueller Belästigung.
Für Stuntmenschen gibt es an jedem Filmset eine*n Stunt Coordinator, der dafür zuständig ist, die richtigen Bedingungen und Vorkehrungen zu schaffen, damit die maximale Sicherheit bei den Stunts gewährleistet ist.
Im Bezug auf intime Szenen gab es das bis vor Kurzem nicht. In jüngster Zeit ist jedoch der Beruf des Intimacy Coordinators oder Directors hinzugekommen, einer Person, die dafür verantwortlich ist, bei intimen (Nackt-)Szenen für die maximale Sicherheit der Schauspieler*innen zu sorgen – körperlich und emotional.

Im Amateurtheater hat man seltener mit intimen Szenen zu tun. Selbst ein kurzer Kuss ist nichts, was ich je von einem meiner Teilnehmer erwarten oder verlangen würde.
Allerdings ist es in vielen Szenen sinnvoll, Berührungen auf der Bühne zu zeigen. Mit ihnen stellen wir eine Beziehung zwischen zwei Figuren dar, wie beispielsweise Partnerschaft oder Freundschaft, aber auch einen Kampf, eine Rangelei, eine Gefangennahme oder auch eine Belästigung.

Doch auch wenn wir eine Rolle spielen, stehen wir selbst dort mit unserem eigenen Körper auf der Bühne, der selbstverständlich auf Berührungen reagiert. Jeder Mensch hat seine eigenen körperlichen Grenzen und es kann wahnsinnig schnell mindestes einer Person ein körperliches Zuviel an Berührung entstehen. Wie kann ich also sicherstellen, dass alle Spielenden sich in Szenen mit Berührung sicher fühlen?
Antworten erhoffte ich mir, als ich sah, dass Intimacy Director Ita O'Brien in Berlin einen Workshop geben würde – inklusive Vortrag, der auch für diejenigen offen ist, die nicht Regisseur*innen oder Schauspieler*innen, aber dennoch Kreativschaffende sind.
Folgendes Video gab mir vorher schon einen guten Einblick in ihre Arbeit und Vorgehensweise:
https://vimeo.com/298289741

Am letzten Samstag war es dann soweit. Ich fand mich zeitig genug im Acting Studio im Eden in Pankow ein und war gespannt auf den Vortrag.
Ita riss mich sofort mit ihrer wachen und begeisterten Art mit. Sie ist total in ihrem Thema drin und liebt ihren Job, das merkt man als Zuhörer.
Sie gab eine kurze Einführung in das Thema und bat uns dann, uns mit unseren Sitznachbar*innen kurz auszutauschen, warum wir dort sind und welche guten und schlechten Erfahrungen wir bisher bei intimen Szenen gemacht haben.
Danach fragte sie, ob einige ihre Erfahrungen in der großen Gruppe teilen möchten und drei Frauen berichteten von teilweise wirklich schlimmen (Gewalt-)Erfahrungen bei Filmdrehs und Bühnenszenen.
Die Berichte waren teilweise sehr emotional und Ita bedankte sich bei den Frauen für das Teilen ihrer Erfahrungen.
Sie fasste dabei in einem Satz perfekt zusammen, was das Ziel ihrer Arbeit ist:

"We shouldn't allow our personal body to be hurt in the work of art."
Ihre Ambition ist, für Schauspieler am Set Sicherheit zu schaffen: Sicherheit für Körper, Geist und Seele.
Denn wenn wir uns bei Stunts oder beim Tanzen zwar körperlich verletzen können, so ist die Verletzungsgefahr bei intimen Szenen noch um einiges höher. Das sind Situationen, in denen die Verletzungsgefahr nicht nur physischer, sondern auch psychologischer und emotionaler Natur ist.
Besonders die #metoo-Debatte und die Aufdeckungen zu Harvey Weinstein und Kevin Spacey haben uns gezeigt, dass im Bereich Film noch immer zuviel Raum für Belästigungen und Machtmissbrauch ist. Mit klareren Regeln, die auch vertraglich unterzeichnet werden, lässt sich ein Grundstein für mehr Sicherheit legen.

Um diese Sicherheit in Grundzügen zu gewährleisten, Ita Guidelines entwickelt, die findet ihr hier:
https://www.itaobrien.com/intimacy-on-set-guidelines.html

Diese Guidelines dienen als Basis für die gemeinsame Arbeit am Set, können aber auch auf das Theater/die Bühne übertragen werden. Diese Guidelines als Team am Anfang der gemeinsamen Arbeit zusammen(!!!) durchzulesen und sich über die Einhaltung zu verständigen, ist dabei ein guter Start.

Entscheidend sind eine offene Kommunikation von Anfang an, ein angemessener Sprachumgang mit sexuellen Begriffen (z.B. die Körperteile korrekt benennen und keine abwertenden Namen oder "Kosewörter" verwenden) und immer Nachfragen statt Annehmen.

In ihrer Arbeit als Intimacy Director geht sie noch einen Schritt weiter. Ihre Aufgabe ist, intime Szenen nach den Vorstellungen der Regie genau zu koordinieren und mit den Schauspielern zu proben, sowie Sicherheitsvorkehrungen vor Ort zu treffen, wie beispielsweise entsprechende Unterwäsche, die Genitalien und/oder Brustwarzen bzw. Brüste bedeckt, aber trotzdem noch genug nackte Haut zeigt.

Sie vergleicht Sexszenen bzw. intime Szenen treffend als Tanz, als körperliche Fortsetzung der gesprochenen Kommunikation. Umso wichtiger ist es, sich vorher genau über den Ablauf und die Choreographie zu verständigen.
Um eine intime Szene zu inszenieren, durchläuft sie dabei folgende Schritte:
  • Grundform und groben Ablauf der Szene festlegen.
  • Sich verständigen, welche körperlichen Berührungen für die beteiligten Personen okay sind, und das auch ausprobieren (die Vorstellung einer Berührung und die tatsächliche Aktion sind oft nicht identisch), und zwar ganz konkret: Den anderen fragen, ob man z.B. an die Innenschenkel fassen darf, bei "Okay" die Hände dort auflegen und fragen, ob es immer noch okay ist. So tastet man sich im wahrsten Sinne des Wortes am Körper des anderen entlang, testet gemeinsam die Grenzen und legt sie fest.
    Wichtig dabei: Ein "Vielleicht" ist in der Regel ein "Nein".
    Ebenfalls wichtig: Die Grenzen können sich jederzeit ändern. Immer in Kommunikation bleiben und die eigenen Grenzen klar benennen, auch wenn sie an einem Tag anders sind als am anderen.
  • Den Szenenablauf trocken mit Worten und Berührungen (ohne Emotion!) üben, als Choreografie. Beispiel: "Ich gehe nach vorn (geht nach vorn), gucke dir in die Augen (guckt in die Augen), dann lege ich meine Hand auf deine Wange (legt die Hand auf die Wange des anderen), dann küsse ich dich (küsst die Person).".
  • Wiederholung dieser Abfolge bis sie ins Körpergedächtnis übergegangen ist.
  • Den emotionalen Szenenablauf festlegen und üben (welche emotionale Reise durchlebt die Figur?)
  • Kombination mit der emotionalen Ebene der Figur: "Ich bin überrascht und gehe nach vorn, sehe dir verwundert in die Augen, dann lege ich vorsichtig meine Hand auf deine Wange, dann küsse ich dich plötzlich von Leidenschaft erfasst.".
  • Alles zusammen üben und die Szene fertig gestalten.
  • Nach dem Dreh die Rolle in verschiedenen Übungen abschütteln, die Emotionen nicht mit nach Hause nehmen.

Um die Choreografie einer intimen Szene zu gestalten, nutzt Ita Bewegungsmethoden, zu denen die Schauspieler einen Bezug haben, z.B. die verschiedenen Elemente (Feuer, Wasser, Erde, Luft), die Laban-Bewegungslehre oder unterschiedliches Paarungsverhalten und die passenden Kopulationsbewegungen aus der Tierwelt.
Auf diese Weise kann man für jede Szene eine spezifische und vor allen Dingen wiederholbare Choreografie entwickeln, in der man sich als Schauspieler sicher fühlt.

Diese Sicherheit ist das A und O bei der Arbeit an intimen Szenen. Gemeinsame Absprachen und genau geregelte Abläufe bieten den Spielenden einen geschützten Rahmen, um sich emotional auf ihre Rollen einzulassen, ohne eine Überschreitung ihrer persönlichen Grenzen fürchten zu müssen.
Mit dem Intimacy Director bzw. Coordinator ist somit ein unglaublich wichtiger und essentieller Beruf entstanden, der schon lange überfällig war.


Thank you Ita and keep on changing the world!



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