#freitagsgedanken – Meine Ängste und ich



Meine Ängste und ich

Eigentlich finde ich mich relativ mutig. Ich habe keine Angst nachts allein in Berlin, ich habe keine Angst vor anderen Menschen, ich habe keine Angst vor dem Reden vor Publikum, ich habe keine Angst vor Nähe, ich habe keine Angst vor Liebeserklärungen, ich habe keine Angst vor Emotionen, ich habe keine Angst vor Entscheidungen, ich habe keine Angst vor Lebensveränderungen.

Aber da gibt es so ein paar Sachen, vor denen ich wirklich Angst hab. Generell nämlich ein bißchen vor Schmerzen und im Besonderen vor Arztbesuchen und im ganz, ganz Besonderen vor Spritzen, Nadeln, Kanülen ... you name it.

Seit einer paar Jahren habe ich Heuschnupfen. Das hatte ich früher nicht, aber plötzlich im Erwachsenenalter entwickelte sich das nach und nach. Seit Jahren nehme ich mir vor, einen Allergietest machen zu lassen.
Einen habe ich mal als Teenager gemacht und Wochen vorher Panik geschoben, weil da ja "die Haut eingeritzt wird", wie mir Freunde dramatisch erklärten. Nach vielen Weinkrämpfen an den Tagen davor, war der eigentlich Pricktest natürlich pille-palle. Absolut schmerzfrei. Um das Gesicht zu wahren, antwortete ich auf die Frage, ob es denn wirklich so schlimm war: "Es war erträglich ..."

Dieser Test ist allerdings etwa 18 Jahre her. Ich googelte gefühlte 1000 Stunden wie Allergietests ablaufen, was es für Desensibilisierungsmöglichkeiten gibt (ja, auch sublingual mit Tropfen, ohne Spritzen!) und war dann diesen Montag endlich, endlich, endlich so weit, einen Termin auszumachen. Für mich eine große Überwindung.
Die Arzthelferin sagte genau das, womit ich nicht gerechnet hätte: "Gern, sie können direkt heute kommen, passt Ihnen 11:30 Uhr?". Whaaaaat? Okay, durchatmen, Ja-sagen.
Um 11:25 Uhr sitze ich im Warteraum und versuche, entspannt zu sein. Die Arzthelferin hat mir gesagt, dass die Ärztin erst mal ein Gespräch mit mir führt, dann guckt man mal, ob der Test am gleichen Tag gemacht wird. Na gut. Das Entspanntsein klappt nur so halb, ich atme tief in den Bauch und zähle bis 10. Dreimal. Wartezimmer empfinde ich immer als bedrückend, ich fühle mich in Arztpraxen einfach generell nicht wohl. Zuviel Weiß, zuviel Licht, es wirkt immer, als wäre man schon im OP.

Die Ärztin ist ganz in Ordnung, wenn auch nicht super sympathisch. In Ordnung halt. Sie fragt nach den Allergiesymptomen, ich berichte, sie fragt nach Haustieren. Das übliche.
Und dann sagt sie genau das, weshalb ich nie zum Arzt gehe: "Gut, dann würden wir jetzt erst mal eine Blutabnahme machen."
Blutabnahme ist mein Horrorwort. Schlimmer geht es kaum. Ich habe ja schon vor Akupunktur Angst, finde Spritzen extrem scheiße, aber Blutabnahme geht gar nicht. No way.
Panik macht sich in mir breit. Ich gucke sie entsetzt an und sage: "Äh, das geht nicht."
Sie fragt warum und ich sage, dass ich zuviel Angst davor habe und dachte, dass ein Pricktest gemacht wird. Sie meint, mit einer Blutabnahme UND Pricktest hat man ein genaueres Ergebnis.
Ich denke: "Maaaaaan, weißt du, wieviel Überwindung es mich gekostet hat, überhaupt hierher zu kommen? Ich hatte einen Fanfarenzug und Konfetti dafür erwartet! Und ein genaues Ergebnis ist mir doch wurscht, ich will nur wissen, ob Birke und/oder Gräser!!!!"
Ich sage: nix (vor Schreck). Sie meint, ich kann am Donnerstag wiederkommen, dann machen wir den Pricktest, denn der dauert länger. Und ich kann mir ja dann überlegen, ob ich dann auch gleich den Bluttest machen will. HAHA! Natürlich! Am Donnerstag habe ich plötzlich total Bock da drauf. Bestimmt!

Ich bedanke und verabschiede mich, gehe aus der Praxis, stelle mich in den nächsten Hauseingang – und weine eine Runde. Über diese Anspannung in mir, die sich nun Bahn bricht, bin ich selbst überrascht. Aber ich kann es nicht ändern, die Angst ist groß.
Diese Angst kann ich im Notfall überwinden. Beziehungsweise ignorieren. Das weiß ich. Ich hatte schon Zahn-Notoperationen. Kein Ding. Aber das hier ist kein Notfall. Im Gegenteil. Und durch die fehlende Not ist die Angst umso größer.

Am Donnerstag bin ich wieder etwas angespannt, aber nicht so extrem. Die Arzthelferin ist lieb und beantwortet mir alle meine doofen Fragen, die ich nur stelle, um mich von meiner Nervosität abzulenken. Als sie die kleinen Ministiche beim Pricktest sticht, befehle ich mir einen ruhigen Atem.
Der rechte Arm mit den ganzen Pollenarten und Gräsern sieht heftig aus und juckt wie blöde. Einige Stellen schlagen sehr stark aus. Ich hatte Recht: Birke und Gräser. Aber dazu noch Hasel, Erle und einige Getreide.

Die Ärztin erklärt mir etwas widerwillig, wie die sublinguale Desensibilisierung abläuft. Sie würde es lieber sehen, wenn ich die Spritzenvariante nehme. Weil das sicherer für mich ist. Ich denke: Kommt drauf an, wie man "sicher" definiert. Emotional sicherer fühle ich mich, wenn ich zu Hause jeden Tag Tropfen nehme.
Über´s Wochende habe ich jetzt Zeit drüber nachzudenken. Mal sehen ...

Soviel zu meiner ängstlichen Woche. Und ihr so?





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