Tradition - Blogreihe #wertekatalog
Der neunundfünzigste Wert ist:
TRADITION
Wikipedia sagt:
Zum Thema Tradition habe ich Vorspielerin und Freundin Anne-Katrin Hennig gefragt, ob sie einen Gastbeitrag schreiben will. Sie wollte glücklicherweise und hier ist er:
Danke, Anne, für diesen wunderbaren Text!
Das heutige Zitat zum Wert stammt von George Bernard Shaw:
Foto: "Meister und Margarita", Theatergruppe Vorspiel: https://www.facebook.com/TheatergruppeVorspiel/
TRADITION
Wikipedia sagt:
Tradition (von lateinisch tradere „hinüber-geben“ oder traditio „Übergabe, Auslieferung, Überlieferung“) bezeichnet die Weitergabe (das Tradere) von Handlungsmustern, Überzeugungen und Glaubensvorstellungen u. a. oder das Weitergegebene selbst (das Traditum, beispielsweise Gepflogenheiten, Konventionen, Bräuche oder Sitten). Tradition geschieht innerhalb einer Gruppe oder zwischen Generationen und kann mündlich oder schriftlich über Erziehung, Vorbild oder spielerisches Nachahmen erfolgen. Die soziale Gruppe wird dadurch zur Kultur. Weiterzugeben sind jene Verhaltens- und Handlungsmuster, die im Unterschied zu Instinkten nicht angeboren sind. [...] (https://de.wikipedia.org/wiki/Tradition)
Zum Thema Tradition habe ich Vorspielerin und Freundin Anne-Katrin Hennig gefragt, ob sie einen Gastbeitrag schreiben will. Sie wollte glücklicherweise und hier ist er:
TRADITION
Als Kind bekam ich ein Buch geschenkt – zum Glück besitze
ich es immer noch, es steht im Regal meines alten Kinderzimmers im Haus meiner
Eltern – und ich brenne darauf, es demnächst meiner kleinen Nichte, sie ist
fast sechs Jahre alt, zu zeigen und es gemeinsam mit ihr zu lesen (und in ein
paar Jahren mit meinen eigenen Kindern). Das Buch heißt „Was weißt du von…“. Es
geht um verschiedene Alltags- oder Freizeitaspekte, die der US-amerikanische
Autor für die kleinen Leser beschreibt: Ballons, Hüte, Süßigkeiten oder einfach
– Türen. Ich liebe den Aufbau dieses Buchs. Eine Doppelseite widmet sich stets
einem Thema, eben zum Beispiel Türen: Haustüren, Hoftüren, Türen aus Holz,
Kunststoff, Glas und so weiter. Auf jeder Seite spielen Kinder eine Rolle und
erforschen sozusagen den Gegenstand: sie stehen beispielhaft an den Türen,
öffnen sie, klemmen sich vielleicht auch mal den Finger, schließen sie wieder –
und so fort. Es ist wahnsinnig liebevoll und anschaulich gestaltet. Das, was
ich am Tollsten an diesem Buch fand, war der abschließende Satz, der jedes
Thema so herrlich auf den Punkt gebracht hat, bei den Türen klang es so: „Aber
die Hauptsache ist, dass Türen auf und zu gehen.“ BAM. So einfach.
Natürlich kann nicht alles im Leben so simpel
heruntergebrochen werden. Wir leben ja nicht in Trumps Wunderland. Diese Welt
ist kompliziert und vielschichtig. So ist es auch mit dem Wert Tradition. Ich will es trotzdem
versuchen, denn ich schätze Traditionen sehr, beziehungsweise das, was wir aus
ihnen lernen können. Und weil ich finde, dass man sich einer komplizierten
Sache umso schlichter nähern sollte, habe ich während des Schreibens das
wunderbare Buch „Was weißt du von…“ im Hinterkopf.
Fakt ist: Es gibt gute und es gibt schlechte Traditionen.
Der Grund für die Entstehung von Traditionen findet sich im lateinischen
Ursprung des Wortes: Es kommt vom Verb tradere,
hinübergeben, beziehungsweise vom Nomen traditio,
das Übergabe, Auslieferung oder Überlieferung bedeutet.
Der Mensch will nicht vergessen werden und überliefert seit Jahrtausenden seine Geschichte und Handlungsweisen an seine Nachfahren, auf dass sie nicht vergessen werden.
Traditionen haben sich in verschiedenen Bereichen verbreitet, in großen und kleinen Umfängen: Es gibt regionale Bräuche, die von den unterschiedlichen Religionen und deren Historie in ihrer jeweiligen Umgebung geprägt sind: Hochzeiten, Taufen, Bar Mitzwas und viele andere Feiertage. Es gibt traditionelle Tänze und andere Rituale, die uns eine wahnsinnige Gänsehaut bescheren können.
Der Mensch will nicht vergessen werden und überliefert seit Jahrtausenden seine Geschichte und Handlungsweisen an seine Nachfahren, auf dass sie nicht vergessen werden.
Traditionen haben sich in verschiedenen Bereichen verbreitet, in großen und kleinen Umfängen: Es gibt regionale Bräuche, die von den unterschiedlichen Religionen und deren Historie in ihrer jeweiligen Umgebung geprägt sind: Hochzeiten, Taufen, Bar Mitzwas und viele andere Feiertage. Es gibt traditionelle Tänze und andere Rituale, die uns eine wahnsinnige Gänsehaut bescheren können.
Beispiel:
Doch es existiert auch das genaue Gegenteil. Traditionen
dienen nicht nur der Weitergabe von lieb gewonnenen und von Menschen-verbindenden Bräuchen und Sitten, sondern auch der Unterdrückung,
Erniedrigung und Machtausübung. Dazu gehören etwa Ereignisse wie die Trennung
von Ethnien – wie in den USA des 20. Jahrhunderts – oder die Beschneidung von
Mädchen in einigen afrikanischen Ländern oder auch der per Gesetz (und nicht
durch persische Tradition!) auferlegte Hijab-Zwang im Iran. Eine Facebook-Seite
– My Stealthy Freedom – klärt in verschiedenen Sprachen zu diesem Thema auf und
zeigt die Geschichten mutiger Frauen und Männer, die sich gegen das Verbot
stemmen.
Was für ein ambivalenter Wert. Traditionen polarisieren
also. Es gibt Rituale, die ins Tiefste des Herzens schielen, natürlich auch im
privaten Raum – zum Beispiel liebe ich es, wenn mein Vater seine Gitarre
hervorholt und wir rock’n’rollige Lieder gemeinsam mit der ganzen Familie
grölen – getragen von der grandiosen rockigen Stimme meines Vaters, oder wenn
wir zu Weihnachten zusammen sind und meine Mutter die schönste, liebevollste Atmosphäre
schafft – mit ihrem einzigartigen herzlichen Esprit, oder wenn mein Mann, den
ich schon 13 wundervolle Jahre kennen darf, mir zum Geburtstag unter anderem
immer einen wunderschönen Kalender vom letzten gemeinsamen Urlaubsort schenkt,
oder wenn mir meine kleine Nichte bei jedem Besuch ein selbst gemaltes Bild
überreicht. Das alles rührt mich, und durch diese Rituale fühle ich mich
beschützt, geborgen, behütet. In dieser großen, ungestümen Welt wirkt das sehr
beruhigend.
Gleichzeitig gibt es furchtbare und unfaire Bräuche, auch in
unseren Breitengraden. Einfaches Beispiel: die ungleiche Bezahlung von Frauen
und Männern. Und solche gilt es stets unbedingt zu hinterfragen!
Das Hinterfragen hat übrigens auch seine Tradition. Zum Beispiel haben die Reformation und die Aufklärung in Europa sowie das Civil Rights Movement in den USA explosive und signifikante Anstöße gegeben, um schlechte Traditionen aus der Welt zu schaffen.
Das Hinterfragen hat übrigens auch seine Tradition. Zum Beispiel haben die Reformation und die Aufklärung in Europa sowie das Civil Rights Movement in den USA explosive und signifikante Anstöße gegeben, um schlechte Traditionen aus der Welt zu schaffen.
Dieser Kreislauf ist unendlich – so hoffe ich jedenfalls.
Wir brauchen Traditionen, um uns in der großen und in unserer persönlichen
kleinen Welt wohlzufühlen und unseren Platz zu finden – oder neu zu ordnen.
Ebenso wichtig ist ein ständiges Hinterfragen: „Brauchen wir das noch so? Tut
uns das gut?“
Tradition ist ein vielschichtiger Wert. Er lädt ganz
offensichtlich zum Reflektieren ein – von privaten Traditionen und genauso von
politischen oder nationalen Bräuchen, die die Gesellschaft hinterfragen muss.
Aber die Hauptsache ist, dass Traditionen unter die Haut gehen.
Danke, Anne, für diesen wunderbaren Text!
Das heutige Zitat zum Wert stammt von George Bernard Shaw:
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