Wissen - Blogreihe #wertekatalog

Es ist Value-Friday und es geht weiter mit der Blogreihe #wertekatalog,

Der siebenundzwanzigste Wert ist:

WISSEN
Wikipedia sagt:

Wissen wird in der Erkenntnistheorie traditionell als wahre und gerechtfertigte Meinung (englisch justified true belief) bestimmt. Generell wird Wissen als ein für Personen oder Gruppen verfügbarer Bestand von Fakten, Theorien und Regeln verstanden, die sich durch den größtmöglichen Grad an Gewissheit auszeichnen, so dass von ihrer Gültigkeit bzw. Wahrheit ausgegangen wird. Paradoxerweise können daher als Wissen deklarierte Sachverhalts­beschreibungen wahr oder falsch, vollständig oder unvollständig sein.
Der Ausdruck ‚Wissen‘ stammt von althochdeutsch wizzan bzw. der indogermanischen Perfektform *woida ,ich habe gesehen‘, somit auch ,ich weiß‘; von der indogermanischen Wurzel *u̯e(i)d (erblicken, sehen) bzw. *weid- leiten sich auch lateinisch videre ,sehen‘ und Sanskrit veda ,Wissen‘ ab.
Da jede Erkenntnis auf Sinnesdaten basiert, die bereits durch den eingeschränkten biologischen Wahrnehmungsapparat gefiltert und unbewusst interpretiert werden, kann es kein absolut sicheres Wissen geben. Die Wiedergabe der Wirklichkeit bleibt demnach immer ein hypothetisches Modell. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wissen)
Das ist ein spannender Wert! Und auch die Beschreibung ist interessant, denn es wird eine Sache genannt, die uns selten bewusst ist:
Es gibt kein absolut sicheres Wissen! Jeder von uns nimmt seine Umwelt über seine Sinne wahr und unser Hirn interpretiert die eingehenden Eindrücke. Da diese Interpretation mit vorherigen Erfahrungen zu tun hat, kommt bei jedem etwas anderes heraus. Oft sehr ähnlich, aber niemals absolut identisch.
Je mehr Menschen etwas verifiziert haben, weil sie es "gesehen" oder wahrgenommen haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass es als Wissen deklariert wird. Wir selbst erschaffen uns einen Wissenskatalog durch alles, was wir erfahren. Je mehr wir es mit anderen teilen, desto mehr gilt etwas offiziell als Wissen und nicht nur als Meinung oder Einzelerfahrung. Nicht umsonst werden in der Wissenschaft Tests mit möglichst vielen Versuchen oder Probanden durchgeführt.

Interessant ist, dass wir somit in der Gruppe selbst Wissen produzieren können, eine eigene Wahrheit erschaffen können.
Ich erinnere mich immer wieder mit Freuden an einen der erkenntnisreichsten und faszinierendsten Tage meiner Ausbildung, als wir ein Fortbildungswochenende beim Soziologen Hans Geisslinger von der Firma Story Dealer zum Thema "Kulturintervention" und "Strategische Inszenierung" hatten.
Dieser Mensch und dieses Wochenende haben mich unglaublich und nachhaltig beeindruckt, ich war absolut geplättet.
Er startete den Tag mit einer Erzählrunde am "Lagerfeuer", das er in unserem Probenraum durch mehrere Holzscheite, die er über einem kleinen Lautsprecher, aus dem Feuerknistern drang, drapierte, erschaffen hatte. Wir saßen drumherum, er spielte auf der Gitarre und erzählte uns von einer Ferienfreizeit für Kinder, die er vor Jahren leitete.
Während dieser Freizeit konzipierte er mit seinem Team für die Kinder eine ganz eigene Realität - und genau das ist sein Job.
Wie funktioniert das? Ganz einfach: er inszenierte für die Kinder ein Erlebnis, das so realistisch war, dass es für sie real wurde.

Und zwar so:

Die Kinder waren in ihrer Jugendherberge frisch angekommen, als ein Mann auf einem Pferd angeritten kommt, der sich als Filmregisseur ausgibt. Dieser verlangt von den Kindern den sofortigen Auszug, denn er und sein Filmteam hätten diese Herberge gebucht und es muss einen Fehler bzw. eine Doppelbuchung gegeben haben. Die Kinder ziehen bereitwillig aus, übernachten eine Nacht im Wald mit Zelten (allein das ist ja schon ein Abenteuer für sich) und erfahren dann vom Regisseur, das sein Filmteam wegen eines Flugstreiks nicht anreisen kann, nur eine Produktionsleiterin von Paramount ist dabei (gespielt von einer Erzieherin). Von allein kommen die Kinder auf die Idee, dem Regisseur bei der Realisation seines Filmes zu helfen, der davon erst mal nicht so begeistert ist. Mit Hilfe ihrer Betreuer sind sie aber super engagiert, organisieren kleine Castings, teilen sich in verschiedene Teams für Kulisse, Schauspiel etc. auf. Es wird eine Art Arbeitsamt in einem der Räume der Jugendherberge eingerichtet, in dem die Kinder sich bewerben können. Ihnen werden 6 Dollar Gage pro Tag zugesichert, die aber für Übernachtung/Verpflegung wieder abgezogen werden, immerhin hat die Produktionsfirma ja für die Herberge schon viel Geld ausgegeben.
Die Kinder bekommen auch das Drehbuch und somit die Geschichte, die im Film erzählt werden soll. Diese Geschichte beruht auf einer Sage aus der Gegend, in der die Ferienfreizeit stattfindet, wo auch ihre Jugendherberge ist.

Es ist die Geschichte von Elenor und Tassilo, zwei Kindern, die bei einem Unwetter mit Überschwemmung getrennt werden. Sie können sich auf Birken retten, aber verlieren sich aus den Augen. Elenor will Tassilo wiederfinden und baut deshalb einen fahrbaren Turm, mit dem sie auf Baumwipfelhöhe nach ihm suchen kann, 225 Jahre lang, bis sie ihn als alten Mann wiedertrifft.
Die Kinder sind von der Geschichte begeistert, bauen mit den Erziehern einen Turm, üben Stunts und betteln zur Probe in den Nachbardörfern, weil die Figuren im Film auch bettelen ... das muss man ja üben. 
Und an einem Tag finden sie im Bach an der Jugendherberge ein echtes Amulett, das in der Originalgeschichte vorkommt. An dieser Stelle vermischen sich für die Kinder Fantasie und Realität komplett, denn sie sind überzeugt, dass die Geschichte wirklich so passiert ist. Sie berechnen, dass in wenigen Tagen die 225 Jahre rum sein müssen und Elenor ihren Tassilo wiederfindet. 
Die Erzieher leisten ganze Arbeit, indem sie nicht nur diese Originalsage lebendig werden lassen, sondern auch bei den Dreharbeiten zum Film weiterhin eisern in ihren Rollen bleiben. Es muss eine große Massenszene auf einem Marktplatz in der Nähe gedreht werden und die Fake-Produktionsleiterin schafft es tatsächlich die Drehgenehmigung bei der Stadtverwaltung einzuholen. Es gibt Kameras (ohne Film) und viele Schaulustige und für die Kinder ist der Filmdreh somit absolut real.
Am Ende der Ferienfreizeit wird auch die Fantasiegeschichte beendet, indem die Kinder zwar am Flussufer in der Abendsonne auf den echten Tassilo warten, dieser aber nicht auftaucht. 



Nach dieser Ferienfreizeit wussten die Eltern der Kinder nicht, was sie glauben sollten, zu absurd klangen die Berichte ihrer Kinder. Aber für die Kinder waren ihre Erlebnisse Realität. Eine Realität, die ja alle in dieser Gruppe erlebt haben, sie waren es nicht allein, die etwas "gesehen" hatten, es waren alle!


An diesem Wochenende habe ich verstanden, was Realität wirklich ist:

1. Alles, was ich erlebe, ist für mich real.
2. Soziale Bestätigung -> Andere geben mir recht oder nicht recht, so korrigieren wir uns gegenseitig.


Und ich habe realisiert, was Inszenierung alles kann, welche Macht eine gute Inszenierung besitzt, wie sie die Realität eines Menschen beeinflussen und verändern kann.
Was wir glauben zu wissen, ist nicht immer das, was auch alle anderen sehen.

Wir sollten uns unseres Wissens und unserer Realität nie zu sicher sein - aber sie trotzdem genießen!


Goethe sagt dazu:



Foto: "Meister und Margarita", Theatergruppe Vorspiel: https://www.facebook.com/TheatergruppeVorspiel/

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